„Brief des Kurzen“ und „Brief des Dramaturgen Sauerampfer“ zur neuen Berliner Bühne

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Brief des Kurzen.

„Einweihungsfest. Prolog von Goethe – göthlich, aber nicht göthisch, ich will sagen: nicht echt poetisch, sondern theaterdirektorisch.“ (Das war am Platze.) „Ein Was wir bringen hat es Sauerampfer im Maibriefe prophezeihungsweise genannt; hätt’s auch ein Was ihr wollt nennen können oder ein Wie wir meinen: denn in der That ist darinne[n] nicht etwa von der wahren Würde der dramatischen Kunst und von dem Zielideal ihrer Wirkung auf die Menschheit, sondern blos davon die Rede, daß – ja wie geb’ ich’s? – daß ein Theater ein Kessel ist, worinnen dem Publikum zu gefallen alle schönen Künste zu einem Brey gekocht werden sollen.“ (Das sollen sie auch, Brey ist eben so bequem anzurichten und vorzulegen als zu essen, man braucht dazu weder Messer, noch Gabeln, noch Zähne mitzubringen, folglich nichts besser zu öffentlicher Verspeisung an das volk.) „Dann Goethe’s Iphigenia in Tauris – sonst gute Darstellung, warum eben dießmal so ledern?“ (Vermuthlich weil das Publikum mehr die neuen Wände, als die alten Schauspieler angesehen. Kein Mensch spricht gut, wenn keiner darauf merket.) „Herausgerufen – der Baumeister des neuen Hauses, war aber nirgends zu finden.“ (Klüglicher Weise.) „100 Friedrichsd’or hätt’ ich drum gegeben, wenn in dem Augenblick Goethe auf der Bühne erschienen wäre und ihn entschuldigt hätte.“ (Die 100 Friedr. wären weggeworfen gewesen, ein neues Schauspielhaus voll Leute fühlt so feine Stiche nicht.) „Neues im Hause: der Freyschütz, bekannte Teufelhole-Geschichte, von Kind tröstlich bearbeitet“ (mit tröstlichem Ausgange, will der K. sagen) „und von C. M. v. Weber brav komponirt. Viel Beyfall, der Tonsetzer gerufen – kam!“ (Voltaire war Dichter, und kam auch, was Lessing freylich sehr tadelte.) „Noch mehr, er dankte in der Löschpapiernen aus tiefergriffenem Gemüthe den edlen Bewohnern Berlins für die mit wahrhaft überschwenglicher Güte und Nachsicht gespendete Theilnahme,“ (das that Voltaire nicht, so viel ich weiß) „und zollte den freudig schuldigen Tribut einer vollkommen abgerundeten Darstellung“ (den Dank dafür, soll das wohl heißen, den Tribut einer guten Darstellung waren die Operisten dem Tonsetzer schuldig) „sowol den verehrten Solosängern und -innen, als der trefflichen Kapelle, dem thätigen Chor-Personale, u.s.w., bis zu dem ausstattenden Herrn Grafen herab.“ (hinauf! hier ist ein Tonsprung.) „Aber dabey klagte er über einen einzigen bittern Tropfen, der in den Freudenbecher gefallen, und das macht ihm Ehre; denn der Tropfen war ein miserables Lobgedicht, welches man im Theater ihm gestreut hatte, und worinnen über Spontini gewitzelt war, ungefähr so: Der Freyschütz jage nach edlerem Wild, als nach Elefanten – die kommen in der Olympia vor – u. d. w.“ (Nun, die Elefanten sind ja keine Hasen oder Kaninchen, sie werden nicht mit Bleydunst erlegt, und die Könige von Indien sind ihre Jäger. Der Witz kann Spontini nicht verwundet haben.) „Houwalds Bild – nicht gesehen.“

Darüber schreibt ein anderer scharfer Dramaturg, aber kein Sauerampfer, folgendes:

„Ich habe mich über das liebenswürdige Gemüth des Verfassers gefreut, der sich in diesem Gartenbassin wie ein Goldfischchen freudig bewegt. Mehr Kraft und Saft möchte man der Frucht wohl wünschen; aber man schmeckt doch überall An¦muth und sanfte Begeisterung. Die Darstellung im schönsten Einklang. Die Wolff (Camilla) prima donna. Sie gab das intensive Leben der Blinden mit der höchsten Vollendung, und entzückte durch ihre Zartheit. Wolff (Lenz) primo uomo, eben so durch Einfachheit. Die Stich (Sohn) voll Leben, Seele, Wahrheit. Rebenstein (Graf) der ganze Houwald. Lemm (Marchese) wacker. Devrient (alter Diener) auch gut, etwas zu vornehm, hatte ziemlich gelernt. Kurz, ein Ensemble-spiel. Viel Rührung im Publikum. Man rief Wolff’s, die Stich, Rebenstein, aber nur Ersterer erschien, obwol er todt war.“

Brief des Dramaturgen Sauerampfer.

„Auf die Eröffnung des neuen Hauses, das wirklich eine kostbare Zierde Berlins ist, folgte eine Ifflanderei, eine Zieglerei (Hausdoktor), auch Ragouts, z. B. Goethe’s Prolog wiederholt die Hintertreppe, der gerade Weg der beste; und das Ballet die Rosenfee. Nachdem das Wiederholen des Prologs aufgehört, gingen die Neuigkeiten an, bis jetzt: v. Webers Freyschütz, von ihm selbst dirigirt, und das viel belobte Houwald’sche Bild. So weit, wie im Leuchtthurm und im Fluch und Segen, ist hier die wahre dramatische Zielscheibe nicht gefehlt, aber getroffen ist sie auch nicht. Eine unglückliche Jugendliebe, vom Verhängnisse – vom Standesunterschiede zum Theil – getrennt, wird gleichsam im Sarge gekrönt: das ist der Hauptgedanke, wenn ich nicht irre; also eine Vereinigung der Leichen als Symbol einer ewigen Vermählung der Herzen, ganz (?) wie im Leuchtthurme, wie in der Freystatt. Das ist ein Trost für Liebende, aber keine erhabene, tiefgeschöpfte, tragische Moral, man müsste denn auch die Hoffnung des Christen auf das Wiedersehen in der andern Welt, die wir alle im Herzen tragen, eine tragische Moral nennen wollen; man müsste diesen unbestrittenen Glaubensartikel erhaben finden.“ (Warum nicht, dafern er nur zur Klarheit poetischer Anschauung gesteigert wird, und über den gewöhnlichen Standpunkt der Sinnlichkeit uns erhebt, wo der Tod als das höchste Uebel empfunden wird?) „Und abgesehen davon, zugegeben, daß ein solcher Ausgang tragisch rühren könnte; welche Katastrophe! Wo ist irgend eine, mit der Hauptidee zusammenhängende, Bedingung ihrer Nothwendigkeit? Wenn Lenz, in der Nacht seiner beschlossenen Entfernung aus dem Schlosse, den Hals auf der Treppe bräche; so wäre der Dichter seinem Hauptzwecke, Vermählung der Getrennten duch den Tod, gerade eben so nahe gekommen, wie durch den Mord einer ungerechten, gezwungen und mühselig motivirten Rachsucht.“ (Man sieht, der Dramaturg schießt auf gut englisch nach dem Rumpfe des Schiffes.) „Ich bekenne, daß mir dieses willkürliche Schalten des Zufalls, wie er in dem Schicksale des Bildes sich ausspricht, von allen Arten des dramatischen Fatalismus die unhaltbarste scheint. Wenn in Werners Februar das Verhängniß der Familie an der Sense und an dem Messer hangt; so sind es wenigstens schwere Sünden und ein frevelhaft gereizter Fluch, die es daran geheftet zu haben scheinen. Wie kommt es aber hier daran? Wo ist des Malers moralische Verschuldung? Mit gleicher ästhetischer Befugniß könnte man an das geschriebene Bild ein tragisches Ende des Dichters heften.“ (Quid inde? Kotzebue’s tragisches Verhältniß hing an seinem Wochenblatte. Wenn einmal ein Tragöd an seiner eignen Tragödie tragisch unterginge, das könnte nicht schaden, es würde die Berufenen erheben, und die Schwachen abschrecken.) „Das Werk ist nun gedruckt, Sie können selbst darüber Ihre Meinung sagen, warum thun Sie im Lit. Bl. das Maul nicht auf?“ (Alles hat seine Zeit, besonders im L. Bl. wo so wenig seinen Raum hat.)

(Der Beschluß folgt.)

Apparat

Verfasst von

Zusammenfassung

„Brief des Kurzen“ und „Brief des Dramaturgen Sauerampfer“ zur neuen Berliner Bühne. Dabei Aufführungsbesprechung Berlin, Schauspielhaus: „Der Freischütz“ von Carl Maria von Weber am 18. Juni 1821

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Fukerider, Andreas

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 15, Nr. 171 (18. Juli 1821), S. 684–685

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