Aufführungsbesprechung Dresden: „Euryanthe“ von Carl Maria von Weber (EA 31. März 1824)

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Von Hermann und Dorothea, ob ich’s Ihnen gleich neulich versprach, nichts, dagegen von der Euryanthe des genievollen Webers, deren erster Vorstellung ich gestern beywohnte, desto mehr, indem ich über das recitirende Schauspiel Ihnen des ehesten etwas Allgemeineres schreiben werde, da ich seit einigen Wochen, durch Gelegenheit begünstigt, es in keiner Vorstellung versäumt habe. Also Euryanthe, große romantische Oper in drey Aufzügen, Text von Helmine von Chezy, Musik von C. M. von Weber. Erlassen Sie mir eine lange Entwicklung des ersterenT. Er ist nicht ohne Verdienst und bietet mehrere sehr gute Situationen dar, aber freylich leidet er auch wieder hie und da an Breite und Mattigkeit, und besonders muß der Hauptmotive darin der Vorwurf der Undeutlichkeit gemacht werden, und Frau von Chezy hat offenbar Unrecht, dem Tonsetzer die Textveränderung am Schlusse vorzuwerfen*. Sie sollte ihn vielmehr deßhalb loben, denn die hinzugekommenen Verse Adolars: Ich ahne Emma! Selig ist sie jezt; Der Unschuld Thräne hat den Ring benezt, Treu’ bot dem Mörder Rettung an für Mord, Ewig mit Udo vereint weilt sie dort. geben doch einige Auflösung, während im Original die Versöhnung von Emma’s Geiste ganz in Dunkel gehüllt bleibt. Alles Lyrische darin ist ganz der Dichterin würdig, ungemein zart und lieblich, und mir ist lange nichts Innigeres vorgekommen, als der Zweygesang Adolars mit Euryanthen:

Hin nimm die Seele mein, Athme mein Leben ein! Laß mich ganz Du nur seyn, Ganz bin ich Dein! |

Dagegen wundert man sich aber bey einigen Stellen, wie eine so korrekte Dichterin so schlechte Verse habe machen können, wohin vorzüglich die oft vorkommende Verkürzung des Namens Euryanthe in Euryanth’ gehört, wodurch er gerade zu einem männlichen wird*.

Also nichts vom Texte – aber von der Musik? Auch hier würde eine wissenschaftliche Auseinandersetzung nicht an Ort und Stelle seyn, da überdieß der Klavierauszug derselben gewiß den meisten Musikfreunden bereits bekannt ist. Man kennt aber die Trefflichkeit der Oper nur zur kleinern Hälfte, wenn man diesen kennt, denn die Instrumentation darin ist eine der ausgezeichnetesten, die mir jemals vorgekommen ist. Hier zeigt sich eine Kenntniß der Instrumente, eine weise Sparsamkeit und wieder eine imponirende Verschwendung bey andern Gelegenheiten, die den wahren Meister erkennen läßt. Das sind die Farben, welche er seinem Tongemälde gegeben hat, die wunderherrlich strahlen und einen wahren Zauberreiz auf nus ausüben. Freylich liegt ihnen die Korrektheit und Klassizität der Zeichnung zum festen Grunde, und auch hier zeigt sich eine Meisterschaft, die sich selbst die schwierigsten Aufgaben machte, um sie mit sicherer Hand und im Gefühle der inwohnenden Kraft mit wohlthuender Leichtigkeit zu lösen. Als Musikwerk steht die Euryanthe gewiß über dem Freyschütz, der dagegen in seiner Art wieder alle Keime in sich trägt, um sich zur National-Oper zu erheben. Aber diese großen Massen, diese tiefen Gedanken, dieses gleichsam Ueberschwängliche der Fülle von Melodie und Harmonie wie die Euryanthe besizt er nicht. Dagegen will auch diese, der Höhe der Aufgabe, die sie liefert, nach, nur von sehr ausgezeichneten Künstlern dargestellt seyn, um die große Wirkung hervorzubringen, deren sie dann gewiß ist, während der Freyschütz auch bey minder gelungener Darstellung immer noch ansprechen wird.

Hier aber erfreute sich Weber wirklich einer sehr lobenswerthen, theilweise ganz ausgezeichneten, Darstellung seines neuesten Werkes, das er selbst leitete, und wohl dadurch Fleiß, Feuer und Liebe dazu noch vermehrt haben mochte. Die erste Krone des gestrigen Abends gebührte unstreitig der Sängerin Funk, welche die Rolle der Eglantine gab. Sie scheint die zweyte in der Oper zu sein, die Funk hob sie aber zu der ersten empor. Sie hatte ihre Rolle mit einem künstlerischen Blicke aufgefaßt und gab sie mit einer Virtuosität wieder, welche eine ächt dramatische Erscheinung daraus hervorgehen ließ. Nun traten alle Recitative, Arien und Duette, in denen sich besonders Haß, Wuth und Rache aussprechen, in ihr gehöriges Licht, und kontrastirten aufs trefflichste mit dem sanften hingebenden Charakter Euryanthens. Eben so war die Wahnsinnsscene im dritten Akte der ersten darstellenden Künstlerin würdig, Ich war’s, die ihn der Gruft entwandte, Rein, wie das Licht, war Euryanthe! sträubte sich jedem das Haar, und er sah die Furien der Reue auf dem blassen Angesichte ausgedrückt. Zu dieser Virtuosität des Spiels gesellte sich die gleiche des Gesangs, der in so vielen Stellen dieser Rolle, namentlich im ersten und zweyten Akte in seiner ganzen Kraft und Fülle hervortreten konnte, und wie ein rauschender Strom sich ergoß. Eben so wurden auch die großen Schwierigkeiten in der Arie: Er konnte mich um sie verschmäh’n, Und ich sollt’ es ertragen? mit der größten Sicherheit, Leichtigkeit und Rundheit gelöset. Mit gleichem Verdienste neben ihr stand Mad. Devrient als Euryanthe, nur von der lieblichern Aufgabe begünstigt, denn der Kompositeur hat allen Wohllaut und alle zarte Innigkeit der lieblichsten Töne in diese Parthie ergossen. Mad. Devrient ¦ that ihr die vollste Genüge. Sie war ungemein hold und mild und gleich die erste Cavatine Glöcklein im Thale, Rieseln im Bach, trug sie mit einer Lieblichkeit und Zartheit vor, die ganz dem Charakter angemessen war. So bezeichnete sie jede Nüance ihrer Rolle mit Wahrheit und ansprechender Innigkeit oder gediegener Kraft und der Culminationspunkt ihres Spiels war besonders das Gebet im dritten Akte Schirmende Engelschaar, Wachend als immerdar, und der Freudenaufruf: O was ist mein Leben Gegen diesen Augenblick!

Ihr Gesang war ganz der Darstellung würdig, und ihre Virtuosität zeigte sich besonders in den himmlischen Gängen des Finals vom ersten Akte, Sehnen, Verlangen, Schmachten und Bangen Wandelt nun Hoffnung in himmlische Lust.

Die sanftern Stellen, welche größtentheils in der Rolle des Adolars liegen, wurden von Herrn Bergmann mit ungemeinem Schmelze der Stimme wieder gegeben. Ich erinnere mich wenige Sänger mit gleicher Lieblichkeit des Tons gehört zu haben, der gleich und rein bis zu bedeutender Höhe aus der Brust kommt. Besäße er eben so viele Kraft als er Lieblichkeit hat, so möchte Hr. Bergmann auf den Namen eines der ersten Sänger Ansprüche machen. Trefflich ward daher die erste Cavatine Unter blüh’nden Mandelbäumen An der Loire grünem Strand von ihm vorgetragen, und so auch das vorhin angeführte Duett mit Euryanthen von ihm gesungen, im Finale des zweyten Akts aber fehlte es ihm freylich an dem heftigen Ausdrucke, der in der Situation liegt. Diese Kraft war nun wohl dem Darsteller des Lysiart, Hrn. Mayer, in hohem Maaße eigen, der auch als Schauspieler recht gut darstellte, aber dafür ermangelt ihm jede Art der Weichheit, die doch namentlich beym Besuch bey Euryanthen wesentlich nothwendig ist. Vollkommen zufrieden konnte man dagegen mit seiner Arie im zweyten Akte und besonders mit dem herrlichen Duett seyn, das er gleich darauf mit Eglantinen singt. Es liegt vieles Gute in diesem Sänger, nur ist mir seine hohle Aussprache der Vokale unangenehm aufgefallen, und seine Freunde sollten ihn darauf aufmerksam machen.

Die Chöre, so männliche als weibliche, einer der Hauptbestandtheile dieser Oper, gingen ganz vortrefflich, und das Spiel derselben war auch sehr brav. Dieses Institut scheint mit besonderer Liebe gepflegt zu werden, und sie durch Fleiß und Anstelligkeit zu belohnen. Das Orchester bewährte den Ruhm, den es durch ganz Europa genießt und unter der Leitung eines solchen Meisters, wie Weber, nur noch vermehren wird. Kostüme und Arrangements waren nicht prachtvoll, aber anständig, nur war die Vorrichtung mit der Schlange, die vor Adolar lief, statt ihm gefährlich zu drohn, etwas verkehrt. Wer dem Dresdner Publikum Kälte nachsagt, der mußte der gestrigen Vorstellung beywohnen. Jedes Musikstück ward beklatscht und Weber und das ganze Personal gerufen. Und das war Recht!

Guido.

Apparat

Generalvermerk

Laut Redaktionsexemplar der Zeitschrift aus dem Cotta-Archiv (Schiller-Nationalmuseum Marbach) war der Honorarempfänger (und somit wohl auch Autor) des Beitrages Karl Theodor Winkler.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bandur, Markus

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 18, Nr. 108 (5. Mai 1824), S. 431f.

Textkonstitution

  • „ausgezeichnetesten“sic!

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