Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, Montag, 12. Februar 1849

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Meine lieben Kinder!

Wenn ich Euch nicht gleich Euren lieben Brief beantwortete so lag es daran dass ich den ArgivInspector des Theaters wegen der Partitur nicht habhaft werden konnte und da dem Jähns viel daran zu liegen schien zu wissen welches die rechte Lesart der bewussten Stelle sey, so wollte ich nicht ehr schreiben bis besagter Herr desshalb nachgesehen hätte, obgleich mir es das das Sicherste schin, sich ganz an die Originalpartitur zu halten. In der hiesig[en] ist die schwarzgeschriebene Lesart die Rechte*, und wird es wohl nun auch in Webers Idee gewesen sein, sonst hätte er es wohl in der Partitur, aus welcher er dirigierte, geändert, – aber da fällt mir ein, dass Weber aus seiner Originalpartitur dirigiert hat, sowohl den Freyschütz als die Euryanthe, und dass ich die Partituren erst nach seinem Tode aus dem Argiv zurück erhalten habe.

Mit meiner Gesundheit und meiner Stimung geht es leider noch nicht besser. wie wäre es auch möglich? Die Uibel gehen Hand in Hand miteinander. Unsere nächste Zukunft sieht grau in grau aus denn wie Ihr wisst hört Max’ens Anstellung den 1. Aprill auf und wir müssen nun alle zusamen von meinem geringen Einkomen leben. Die Einschränkung würde mich aber nicht so trübe stimen wenn nur sonst alles wäre wie es sein sollte — doch was nützt das klagen! man muss Geduld haben – dass man aber mit quelenden Sorgen im Herzen sich nicht von einer bedeutenden Krankheit erholen kann, könnt Ihr Euch wohl denken. Ich schlafe fast gar nicht mehr weil ich fortwährend von einem heftigen Schmerz im Leibe geplagt werde; auch wiederholt sich auf den Händen und Armen, bey jeder kleinen Aufregung ein gallenfriesel, welches durch sein unleidliches Jucken höchst unangenehm ist. Ich verliere fast alle Haare, und selbst die Nägel erneuern sich. Dabey werde ich zusehens mager und sehe elend aus, kurz, die ganze Mutter Weber ist nicht einen Schusspulver mehr werth und Jähnsens Gleichniss „mit den Nussbaum[] ist nicht mehr anwendbar — Ach an dem armen Nussbaum ist aber auch so viel gerüttelt und geschüttelt worden, dass es kein Wunder ist wenn seine Blätter abfallen und er nach und nach ganz verdorrt. In Gottes Namen! Ein Baum der keinen Schatten mehr giebt, an dessen Früchten sich Niemand mehr erfreut, der mag imerhin ins Feuer geworfen werden und einem Andern Platz machen. Mein Marichen würde zwar die Grosmama doch vermissen, denn sie fühlt schon wie sehr ich sie liebe aber wie schnell vergessen überhaupt die Menschen!! —

An Deinem Pathchen habe ich immer noch wenig Intresse. Das Kind sieht mich mit seinen schwarzen Augen so fremd an dass es mir gar nicht ist als ob es Maxens Kind wäre. Uibrigens ist Lina viel hübscher als Marichen das sehe ich wohl aber was habe ich von der Schönheit wenn sie nicht auch gut, und Liebenswürdig wird. Gebe Gott, dass sie mehr Herzlichkeit bekömt als die Mama

Ich habe vor einem Monat an Meyerbeer nach Paris geschrieben, und ihn um zurücksendung der Musikalien gebeten, welche ich ihn vor 8 Jahren zur Ergänzung der Pintos schicken musste, aber ich habe keine Antwort erhalten. Gewiss ist das ganze Paquet verloren gegangen — das wäre die Krone auf Alles was wir durch ihn verlieren — Solche Nachlässigkeit ist unverzeihlich! Ich habe überhaupt die Idee mich nun nicht länger von ihm bey der Nase herum führen zu lassen, und werde ihn nun einen recht ernstlichen Brief schreiben — Ist es doch als wenn seit 4 Jahren alles mit uns Bergab ginge! Ja ja! Ein guter Engel ist von uns gegangen, aber keiner wieder zu uns gekomen. —

Gerne wäre ich diesen Somer wieder nach Pilnitz gezogen oder wäre ins Bad nach Schandau gegangen, aber das muss ich mir alles, bey so bewanten Umständen, vergehen lassen. Heute feyern wir Devrients silberne Hochzeit. Die halbe Stadt ist dazu eingeladen, und es geht vor meinem Fenster eine ordentliche Prozesion mit Geschenken für sie, vorbey.

Max ist auch gekomen um mit hin zu gehen, aber ich freue mich gar nicht auf das Gedränge. Es umarmt Euch herzlichdieMama.

Editorial

Summary

J. hatte sie offensichtlich gebeten, eine Lesart in der Freischütz‑Partitur überprüfen zu lassen, sie teilt ihm das Ergebnis mit und fügt hinzu, dass Weber aus seinen Originalpartituren dirigiert habe und sie erst nach seinem Tode Freischütz und Euryanthe aus den Archiven zurück erhalten habe; Mitteilungen über ihren Gesundheitszustand und dass ihr das zweite Enkelkind fremd bleibt, sie sei schöner als Mariechen, aber es kommt ja auf den Charakter an; sie klagt über vermutlich kommende Arbeitslosigkeit von Max zum 1. April und darüber, dass Meyerbeer auf ihren Brief nach Paris, in dem sie um Rücksendung der Manuskripte bat, nicht reagiert habe

Incipit

Wenn ich Euch nicht gleich Euren lieben Brief

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Tradition

  • Text Source: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Shelf mark: Mscr. Dresd. App. 2097, 126

    Physical Description

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 126 des Konvoluts)
    • 4 S.
    • am Kopf die Notiz: “Empfangen d. 13. Febr. 49.”

    Corresponding sources

    • MJ S. 324 (Auszug)
    • Weberiana 27 (2017), S. 84 (Auszug)

Text Constitution

  • “das”sic!

Commentary

  • “… schwarz geschriebene Lesart die Rechte”Offenbar hatte Jähns in Zusammenhang mit seiner Freischütz-Partiturausgabe eine entsprechende Anfrage gestellt, die die Partiturkopie des Dresdner Hoftheaters betraf.
  • 8recte “10”.

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