Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Sonntag, 6. Juli bis Montag, 7. Juli 1817 (Nr. 64)

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An Mademoiselle

Carolina Brandt.

Wohlgebohren

MitGlied des Ständischen Theaters

zu

Prag.

Kohlmarkt No. 514.

2t Stok.

Meine liebe gute Lina!

Ich muß mich ein bischen bei dir erholen, von dem mancherley Gesprächsel was diese Tage über mir den Kopf angefüllt hat, und sich immer um denselben Punkt dreht; nehmlich um den Berliner AntragT. d: 4t erhielt ich von Graf Vizthum von Chemnitz aus, schon einen Brief, wo er mich aufs herzlichste und wiederholt beschwört, ja vor seiner Zurükkunft keinen Entschluß zu faßen.     das ist auch schwer. ich laße der Sache ihren Gang Gründe für beide Theile giebt es genug, der augenscheinlich größere Vortheil allein muß mich bestimmen.     Ich bin so begierig auf deine Ansicht und Antwort, und du dummer Mops schreibst gewiß nicht eher als mit dem gewöhnlichen Posttag. Ja, wenn du zu zanken hast, dann bist du gleich bei der Hekke. Nu werd nur nicht bös, will dich nur ein bißel seziren, wird wohl nicht eher möglich sein Antwort zu haben. und vielleicht komt sie heute noch. Böttger der heute bei mir war, meinte du würdest für B: stimmen, und ich behauptete das Gegentheil. Am Ende aber machst du die politische Perschon, und hast gar keine Meinung und überläßt alles deinem Herren und Gebieter!! gelte?     das wär aber nicht recht, denn gerade du hast hierbei die Hauptstimme. Alles was das eigentliche Leben betrifft, schlägt in dein Departement, und es ist offenbar eine Häusliche Angelegenheit, wo künftig das Haus sein soll. ich glaube, es wird dir eben so schwer werden eine bestimmte Entscheidung auszusprechen als wie mir.     Bin ich aber nicht ein Dummkopf mich so mit Vermuthungen abzustrappazziren, da ich die Gewißheit binnen hier und 24 Stunden schwarz auf weis von der Mukin Pot, haben werde? Weißt du was ich so ganz im Stillen glaube? mir es aber selbst nicht recht laut sagen mag? daß die ganze Geschichte zu nichts führt. daß Brühl nicht so bedeutend mehr wird geben wollen, und am Ende ich vielleicht nur um ein paar Wochen hier meine lebenslängliche Anstellung früher erhalte. – Puntum. aus. –

d: 4t nach Tische gienge ich zu Odonells, die mir recht wohl gefielen, und mit denen ich ein langes und breites von allen hiesigen Eß- Wohn- und anderen Verhältnißen sprechen muste.      die Jungh, sieht dem Hans etwas ähnlich, ich habe sie aber wenig gesprochen. Graf und Gräfin rühmen sie sehr. So oft es meine Zeit zuläßt, werde ich sie besuchen, und ihnen mit Rath und That an die Hand gehen.

Ich wurde heute früh durch Geschäfte und Besuche gestört. Brieferl ist also keines von der Mukkin gekommen, und der Montag behält sein altes Freudenrecht. Jezt will ich nur mein Tagebuchs Referat zu Ende bringen. Von Odonells gieng ich d: 4t nach Hause, schrieb einige Geschäfts Briefe, und dann gings zu Nostiz in den Dichter KreißT, wo ich auch phantasieren muste*. d: 5t früh Quart: P. Lodoiska. Mittags traf ich Ebers aus Berlin, der von Karlsbad zurükkam*, und frisch weg zur KapMster Stelle in Berlin gratulirte, obwohl er nichts von dem Antrag Brühls wißen konnteT; Aber alle Preußen es wünschen und von selbst daran denken.     dann gieng ich mit Hellwig in die Garderobe, und suchte Kleider zur Lodoiska zusammen. Hierauf war großes Concilium, zwischen Schmidl, Baßi und Miksch bei mir bis ½ 12 Uhr, zu dem Schmidl von Pillnitz hereingekomen war. du hättest sehen sollen wie der gute Mensch betreten war, als er den Ruf nach B: erfuhr. er war ganz stumm, bis endlich sich seine Zunge löste um mir alle schönen Aussichten zu malen, Z. B. gewiß würde [ich] binnen 6–8 Jahren hier auch 2000 rh: haben, und dergl: So wurde der Abend | verplaudert, und viel deiner gedacht. ich war meist still, und ließ mir so alles vorerzählen. Es ist einzig, welche kleine, verwikkelte, und Klatschige Geschichten oft vorkommen. Morlachi ist ganz außer sich vor Verdruß, und weis nicht wie er sich geberden soll. ich gehe meinen geraden Weg fort, und laße sie alle kleffen, denkend, daß es überall so ist, hoffend, daß es beßer werde, und wißend, daß das Gute und die redliche Handlungsweise immer endlich doppelt siegreich hervorstrahlen muß.     dabei habe ich mitunter ziemlich glükliche Augenblikke zum arbeiten, die mich erheitern und erfreuen.     Kind komt zuweilen und ich muß ihm vorspielen was ich ohngefähr fertig habe, womit er sehr zufrieden scheint. doch ist das noch kein großer Beweiß, denn die Dichter sind bald befriedigt wenn sie ihre Verse nur klingen hören.     ich bin begierig was mein gebildetes Publikum – die Mukkin – zu manchem sagen wird, und ob es ihm gefällt. ich glaube daß sich besonders viel liebliches darinnen entwikkelt, was dann im Kontrast mit dem Schauerlichen desto wohlthätigere Wirkung thun wird. das fatalste ist daß ich mich doch ein bischen mit Arbeiten schonen muß, weil mein Hals es übel nimmt wenn ich ihm viel biete.     Jezt will ich ein bischen im Zimmer rum spazieren und sehen ob Gott mir gute Gedanken schenkt, als ade für heute, meine vielgeliebte Lina, täglich zähle ich fleißiger die Tage die noch zwischen uns liegen. du kannst gar nicht glauben wie viel Beruhigung, Trost und Freude ich mir von unserer Vereinigung verspreche, und mit welcher innigen guten Sehnsucht ich ihr entgegen sehe.

Gott laße dich eben so fühlen. bleib gesund und brav, der Himmel segne dich + + + so wie dein, dich über alles liebender treuer Carl.

Millionen Bußen.

Ich eile deinen lieben Brief ohne No: / eigentlich 67. / zu beantworten, und dich vor allem nochmals über meine Gesundheit zu beruhigen. besonders heute ist mein Hals sehr brav, und auch übrigens habe ich nicht zu klagen, da ich sowohl meine Proben in ihrer Ordnung fort halte als auch mit Lust arbeite. So oft ich veranlaßt werde spazieren zu gehen, thue ich es, damit meine Bewegung dem Sizzen das Gleichgewicht halte. denn allerdings muß ich meiner Lina einen gesunden Muks bringen, wie ich daßelbe von ihr verlange, und noch obendrein Spek fett und ditt. Mit letzterem werde ich aber nicht aufwarten können, und du bekömst deinen Muks so mager wie er war. –Ich würde es dir gewiß gleich schreiben wenn ich ernstlich krank würde, denn deine Pflege und Liebe würde mich schneller genesen machen, aber Gott sei Dank, ich bin wohl, und kann dir nun schon nicht einmal den Gefallen thun, und dich früher rufen. So ist der Mensch, ich weiß gewiß daß du gar nicht einmal zu mir willst, wenn das nur die Veranlaßung sein soll. gelte? Du kannst ganz ruhig sein, denn ich wache bei den Proben sehr über mich, und behandle alles so ruhig wie möglich. da so wenige Vorstellungen sind, so ist doch der Dienst bei weitem ruhiger, und mit der Zeit werde ich mirs auch schon bequem machen.          daß du nicht immer heiter bist, ist natürlich, aber brav ist es, daß du gehörig dagegen kämpfst, und es nicht aufkommen läßt, da wurzelt der Frohsinn immer fester, und das trübe, komt immer seltner.          Warum schimpft Err meine Jägersbraut eine falsche Braut? Ha! das wär ein schöner Streich wenn sie sich falsch gegen mich bewiese, und das hoffe ich nicht. Sie macht mir Freude, da ich nach und nach in Zug komme, und sehe daß die Ideenquelle nicht | ganz vertroknet ist. Bald sollst du mit Gottes Hülfe Böhlers Abschiednehmen folgen*, und sagen nun ade du falsche Welt. bin wirklich begierig was aus der Prager Theater Sauçe wird. Kostenobel hat sehr recht, wenn er nicht komt*.     Nun kome ich auf die Berl: GeschichteT. Ich habe also eigentlich die Wette verlohren, da du mehr für B: zu stimmen scheinst, doch kömt es mir vor als thust du dies nur weil du glaubst daß es mir so ans Herz gewachsen sei. Einige Menschen sind mir freilich sehr theuer, lieb und werth dort. aber im Ganzen gefällt es mir nicht. Die Herren Sänger und Orchester sind an eine große Insubordination gewöhnt die ich nicht ertragen werde. Graf Brühl ist gut, aber schwach, und man kann sich nicht recht sicher an ihn halten. Mein jeziger Cheff ist unendlich gut und vertrauend auf mich – kurz – es ist eine böse Sache, in der ich auf Ehre selbst noch gar keine bestimmte Meynung habe, sondern wo ich nur dem überwiegenden Vortheil, denjenigen VernunftGründen gemäß die der Unbefangenste dabei haben muß – nachgeben werde. Was sagt denn Jungh dazu? Uebrigens hast du H: v: Spizbub dich am Ende so gedreht und gewendet, daß ich so klug bin wie vorher, und nicht recht weiß was dir lieber ist. und vielleicht gehts dir damit eben so wie mir.

Ueber Publikum, Achtung und Anerkennung kann ich hier wahrhaftig nicht klagen, und was das Bekanntwerden betrifft, so schreibt man hier eben so viel als in Berlin. dann ist es auch gewiß daß hier vor der Hand Alles in Nichts versänke, wenn ich gienge, denn Einer nach mir, hätte es noch schwerer als ich es hatte. Was ich hier thue ist mein Werk. kurz – es ist sehr schwer zu entscheiden. Geduld! in ein paar Wochen ist alles im klaren. Mit dem Begleiten der Mutter bleibt es auf jeden Fall beim bestimmten Plan*. Ob ich ein Jahr hier bleiben müste, weis ich selber nicht in diesem Augenblik, doch ist es wahrscheinlich. Urlaub müßen sie mir auf jeden Fall geben, aber vielleicht würde er nicht so lange ausfallen, als wenn ich bliebe. Alles dieses wird vor Ende dieses Monats im Reinen sein. Uebrigens hast du immer Recht gehabt dich zu freuen, denn der Antrag bleibt immer von Wirkung und ist ehrenvoll. Er ist doch ein Zeichen daß man gesucht wird, was bei den Andern eben nicht sehr der Fall ist. Heute sind eine Menge Berliner hier durch Lork, Lichtensteins Schwager pp die nehmen es Alle schon für bekannt an daß ich nach B: komme.     Wie gesagt wie Gott will, ich stimme ganz deinen Worten bei, er sorgt ja immer väterlich für uns. So bald ich wieder Briefe von Berlin habe, schreibe ich dir.     Mit allem was Einkaufen heißt, halte ich jezt an mich, bis alles entschieden ist. und dann mache ich meine Berechnung was hier wohlfeiler ist als in B: weil ich doch von dort, auch wieder einen Einfuhrs Paß bekomen muß.     Noch weiß es hier Niemand, desto mehr Sensation wird es machen wenn es so auf einmal losbricht. Nur Böttger und Kind habe ich davon gesprochen. Der Hellwig aus Berlin ist von Carlsbad heute zurük gekommen*, und wir wollen heute Abend noch einen SpazierGang in den Schooner Grund machen. Gestern war der Graf Odonell bei mir. ein recht artiger und wie es scheint unterrichteter Mann. Jezt muß ich schließen, denn die Post geht.

Grüße die Mutter, Drs: pp Grünb. /: die gar nichts von sich hören laßen :/ bestens. sey brav, Gesund, heiter und ohne Sorgen, und schreibe fleißig deinem dich über Alles treu liebenden alten Muken Carl.

Millionen Bußen.

Editorial

Summary

betr. Entscheidung in Sachen Berlin; Tagebuch 4.–5. Juli; äußert sich über seine Arbeit an der “Jägersbraut”; erwägt nochmals Gründe für bzw. gegen Berlin; nimmt auf Caroline Brandts Meinung in dieser Sache Bezug

Incipit

Ich muß mich ein bischen bei Dir erholen

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 106

    Physical Description

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber

    Corresponding sources

    • Muks, S. 425–432

Text Constitution

  • “wo ich”added above
  • “… entscheiden. Geduld ! in ein”Ab hier sind die nächsten 10 Zeilen ca. 2 cm von links und rechts vom Rand abgerückt

Commentary

  • “… No: 63”Schon Jähns vermerkte hier mit den Worten „(muß heißen 64.)“, dass sich Weber hier bei der Zählung des Briefes vertan hat.
  • “… wo ich auch phantasieren muste”Laut Tagebuch über „o komm zurükke“; möglicherweise das Duett (Jenny, Richard) „Auf ein Wort“ aus P. A. Monsignys Oper Der König und der Pachter (Le roi et le fermier).
  • “… , der von Karlsbad zurükkam”V. Ebers hatte sich laut Kurliste (1817, Nr. 184) seit dem 3. Juni 1817 in Karlsbad aufgehalten, wo er im Haus „zum Wallfisch auf der Wiese“ logiert hatte.
  • “… Gottes Hülfe Böhlers Abschiednehmen folgen”Am 30. Juni 1817 fand am Prager Ständetheater die Vorstellung von Agnes Bernauerin „Zum Besten und Abschied der beiden Dem. Böhler“ statt (Tagebuch der deutschen Bühnen 1817, S. 344). Die Schwestern verließen Prag, um nach einem Gastspiel in Frankfurt/Main (Juli/August) im Sommer ins neue Leipziger Ensemble zu wechseln.
  • “… recht, wenn er nicht komt”Zum Angebot an Costenoble, Mitdirektor des Prager Ständetheaters zu werden, vgl. den Kommentar zu Webers Brief an Caroline Brandt vom 19./20. Juni 1817. Costenoble schlug den Antrag im August 1817 endgültig aus; vgl. Carl Ludwig Costenoble’s Tagebücher von seiner Jugend bis zur Übersiedlung nach Wien (1818), Berlin 1912, Bd. 2, S. 176f.
  • “… jeden Fall beim bestimmten Plan”Zum Plan der Hochzeitsreise nach Mannheim, um Carolines Mutter in ihr neues Domizil bei Louis Brandt zu begleiten, vgl. den Brief vom 11./13. Juni 1817.
  • “… von Carlsbad heute zurük gekommen”C. Hellwig hatte sich laut Kurliste (1817, Nr. 341) seit dem 10. Juni 1817 in Karlsbad aufgehalten, wo er im Haus „zum braunen Reh in der Sprudelgasse“ gewohnt hatte.

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