Carl Maria von Weber an Caroline von Weber in Dresden
London, Dienstag, 4. April 1826 (Nr. 16)

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A

Madame

Madame la Baronne de Weber

a

Dresde.

en Saxe.

Guten Morgen, geliebte Lina. bin ein paar Tage nicht dazu gekommen mit dir zu plaudern, heute ist nun Posttag und da habe ich alles bei Seite gelegt, denn der darf nicht versäumt werden.       Gestern habe ich den ganzen Tag recht sehnsuchtsvoll auf einen Brief von dir gehofft, aber vergebens. Der Wind ist nun westlich, das Wetter wärmer, das ist gut für meinen Husten, aber der holländischen Post entgegen. so giebt sich denn immer gut und bös die Hand in der Welt, und wir müßens mit Geduld empfangen.       Miss Paton ist noch immer in Brighton. man hat heute an sie geschrieben, um endlich über die Oper etwas bestimmen zu können*. Daß die Freyschütz Concerte nicht zu Stande kamen, ist mir ein empfindlicher bedeutender Geld Verlust.       Vielleicht kommts auf einer andern Seite wieder herein. Gott gebe es, daß ich doch Beruhigung für meine Aufopferung habe.

Doch, zum Tagebuche. d: 31t wo ich meine No: 15t abschikte, aßen Smart, Fürstenau und Fawcett ruhig zu Hause. und ich ging zeitig zu Bette.       d: 1t Aprill, hatte ich von 12–3 Probe vom Philharmonischen Concert. es war sehr kalt im Saale, da muß ich mich troz aller Vorsicht etwas erkältet haben, und mein Husten der so lange ganz brav gewesen war, zeigte wieder einmal seine Authorität. Da war es denn sehr gut daß ich bei Fawcetts zu Mittag aß, wo sie mich hätscheln und pflegen wie ein Wikkel Kind. das eßen schmekte mir sehr gut. Nachtische mußte ich in einem Sorgenstuhle ein bischen schlafen ich mochte wollen oder nicht. dann ging ich noch ins Theater, und war um 10 Uhr zu Hause, und die Sache wieder gut.       d: 2t Sonntag, erwachte ich recht munter, denn ich hatte gut geschlafen. da habe ich denn die Arie für Braham größtentheils entworfen*. um 5 Uhr gingen wir zu dem Maler Sharp, und ich sah mit Vergnügen seine herrlichen charakteristischen Gemälde. er malt nehmlich lauter Szenen aus dem wirklichen Leben, oder intereßante dramatische Momente. Z: B: die Ankunft des Paketbots in Dover, wo die Mauthbeamten eine Dame anhalten wegen Seidenwaren. höchst poßirlich und lebendig. Eine Bedientenstube, wo das neugierige Kammermädchen einen Brief an ihre junge Lady gegen das Licht hält um etwas zu erfahren, in dem Augenblik tritt die junge Lady in die Thüre, und ein schelmischer Bedienter der es bemerkt, lacht in sich hinein. Ganz vortrefflich u: s: w:

Dann verbrachte ich einen sehr angenehmen Mittag bei dem Sardinischen Konsul Heath. sehr liebe, gute, und unterrichtete Menschen. Das wird denn alles mir zu Liebe so eingerichtet, daß ich um 11 Uhr wieder zu Hause bin.

Gestern, d: 3t hatte ich Probe vom 3t Akt des Oberon im Theater. von 12–3. schöne Dekorationen. ohne Miss Paton war die Probe freylich unvollständig, inzwischen es mußte doch probirt werden. Nun gehe ich aber zu keiner Probe mehr, als zu den lezten wenn alles beisammen ist. meine Ideen habe ich mitgetheilt, das Orchester geht schon recht brav, und somit kann ich zu Hause mopsen und mich schonen zu den lezten Drukkern.

Wegen dem Concert aßen wir schon um 4 Uhr Mittag zu Hause. mit Fürstenau, und Cramer, dem Direktor von des Königs Banda. wie hier jedes Orchester heißt. Der König hat aber kein vollständiges Orchester sondern nur Blasinstrumente, aber sehr zahlreich und gut. um 8 Uhr dirigirte ich das große Philharmonische Concert. Mein Empfang war wie gewöhnlich enthusiastisch über alle Beschreibung. das sonderbare dabei ist, daß das Orchester auch eine Stimme hat, applaudirt, und auf die Violinen mit den Bogen pocht, um ihre Freude zu erkennen zu geben. es gieng alles ganz vortrefflich. und war ein herrlicher Abend. | Mozart, Haydn, Beethoven, und meine Wenigkeit, also blos Deutsche lieferten die Stükke*. von mir wurde gegeben: ein Rondo, das Mad: Caradori ganz vollendet sang. Overture Euryanthe. da Capo. Tenor Arie aus dem Freyschütz. M: Sapio sehr gut. Overt: aus dem Freyschütz. das war denn auch nach 11 Uhr überstanden. um 12 Uhr lag der Mensch im Bett, schlief sehr gut, und hier sizzt er nun, und weiß nichts mehr zu erzählen; als er von Herzen gern alle diese Herrlichkeiten hingäbe wenn er ruhig zu Hause bei der Mukkin sizzen könnte, und nicht mehr vom Theater und allem was drum und dran hängt hören müßte. — So gut wird es mir wohl Niemals werden. Nun, man thut was man muß, und kann. ich habe wohl schon genug, — vielleicht — in Dresden gewiß. — zu viel gethan, und will mich in Hosterwitz recht strekken und pflegen. wären nur keine Visiten zu machen, ach und was werden die Menschen fragen. o Gott. — siehst du, so suche ich mir begreifflich zu machen daß die Heymath auch ihre Qualen hat, damit ich nicht gar immer daran zurükdenke und wünsche.       für jezt Ade. habe noch manches Brieflein zu schreiben. und dieser geht erst Nachtische. Vielleicht!!! kömt vorher einer von dir. Oh! — —

Habe den ganzen Morgen nichts thun können. habe mich endlich aus Verzweiflung angezogen; und bin ausgegangen, in der Hoffnung wenn ich nach Hause käme, einen Brief von dir zu finden. — Nichts, getäuschte Hoffnung. bin recht betrübt darüber. und dieser Brief muß nun fort. wirst keine große Freude an ihm haben, fürchte ich. er lamentirt sehr. aber ich kann nicht helfen, ich bin immer wahr, und schreibe wie’s mir ums Herz ist. bin entsezlich melancholisch, und wenn ich mich nicht gar zu sehr schämte, ich pakte auf und führe gerade nach Hause. obwohl ich weiß daß ich zu Hause eben so ein Murmelthier bin, und hier gewiß über nichts klagen kann. Nun Geduld! sey nur nicht böse auf mich gute Alte, oder ängstige dich nicht etwa gar, es geht auch wieder vorüber.

     Nun Gott segne Euch Ihr Geliebten + + +. ich drükke Euch innigst an mein Herz. bleibt braver als ich und Gesund, und behaltet lieb Euren alten treuen Vater Carl.

[im Kußsymbol:] Millionen
gute Bußen.

Alles Erdenkliche an die Freunde!

Editorial

Summary

Tagebuch 31. März bis 3. April: Proben für Philharmonisches Concert; erkältet; Visiten, Theaterbesuch, an Arie für Braham gearbeitet; Oberon-Probe – noch ohne Paton; Philharmonisches Concert dirigiert; großes Heimweh

Incipit

Guten Morgen, geliebte Lina. bin ein paar Tage nicht

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Brief in zwei Teilen
  • 1. Fragment: Umschlagblatt
    Jena (D), Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (D-Ju)
    Shelf mark: Aut. Slg. W. M. v. Goethe, Nr 641b

    Physical Description

    • 1 Bl. mit 1 b. S.
    • am rechten Rand der Adressenseite von F. W. Jähns: “aus England.”
    • am linken Rand der Adressenseite Echtheitsbestätigung von F. W. Jähns: “Adresse eines Briefes aus C. M. v. Weber’s | letzten Tagen. (Aus London.)”
    • PSt: a) Rundst.: F 26 | 4. 5. b) 1 rechteckiger unlesbarer Stempel
  • 2. Fragment: Brieftext
    Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. C. M. v. Weber 223

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • Bl. 2 bis auf 2 cm Rand abgeschnitten
    • Siegelrest
    • Rötel- u. Blaustiftrandmarkierungen von Max Maria von Weber

    Provenance

    • Weber-Familiennachlass

    Corresponding sources

    • Reise-Briefe, S.142–145
    • Worbs 1982, S. 144–146

Thematic Commentaries

Text Constitution

  • so“zu” overwritten with “so
  • “… hingäbe wenn er ruhig zu”z überschrieben aus unlesbarem Buchstaben

Commentary

  • “… Oper etwas bestimmen zu können”Wegen der Krankheit der Sängerin der Reiza musste die ursprünglich für den 27. März geplante Uraufführung des Oberon verschoben werden. Sie fand erst am 12. April 1826 statt.
  • “… Arie für Braham größtentheils entworfen”Neukomposition der Nr. 5 Huons Arie auf Wunsch von Braham; vgl. Komm. Brief von Weber an seine Frau Caroline vom 29.-31. März 1826.
  • “… blos Deutsche lieferten die Stükke”Vgl. das Konzertprogramm vom 3. April 1826 im Quarterly Musical Magazine and Review.

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