Dramatisch-musikalische Notizen (Dresden): “Das Hausgesinde” von Anton Fischer

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Dramatisch-musikalische Notizen.

Als Versuche, durch Kunst-Geschichtliche Nachrichten und Andeutungen die Beurtheilung, neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern.
Von Carl Maria von Weber.

Dienstag den 18. Februar, zum Erstenmale: das Hausgesinde, Oper in 1 Akt, nach dem Französischen, mit Musik von Fischer*. – Ein heiteres Spiel, allen Freunden fröhlichen Scherzes, und der dem Vergnügen bestimmten Zeit, die es beschließt, gewidmet. – So lokal in der Regel die Volksposse im allgemeinen ist, und nur durch heimathlich ver¦traute Figuren und Charaktere wirkt, mit denen sich, wenn auch nicht angeborene, doch anerzogene Begriffe vom Burlesken und Lachen Erregenden verbinden, – woher es auch kommt, daß jedes Volk den in Einer komischen Person ausgesprochenen Repräsentanten seiner launigen und lächerlichen Seite hat – so haben sich doch zuweilen einzelne dergleichen Gestalten von einer Nationalbühne auf die andere verpflanzt, und sind durch die Bearbeitung mehr oder weniger nationalisirt und dem im Volk wohnenden Begriff von Komik näher gebracht worden. – Selten ist dieß ganz gelungen, meistens war zum Wohlgefallen daran, kritische Berücksichtigung und Erkenntniß des jedem Volke Eigenthümlichen nothwendig, und dadurch schon, und nur für Wenigere ganz von Wirkung und Verständlichkeit. Um den Fallstaff, John Bull der Engländer, den Harlequino, (ja nicht mit dem deutschen Hanswurste zu verwechseln) und den Pollicinello der Italiener etc. ganz zu genießen, gehört Vertrautheit mit deren Nazional-Charakter dazu. – Seit 20 Jahren und länger ist durch das Talent eines trefflichen Komikers (Brunet in Paris), ein eigner Charakter unter dem Nahmen Jocrisse in Frankreich zum Liebling aller Lachlustigen geworden. Im Théatre des Varietés, war und ist Er die stehende Hauptfigur um die sich das Ganze dreht, und die in hundertfältige Beziehungen gebracht, in eben so viel Stücken das Publikum ergötzt. – In einzelnen Theilen Deutschlands zeigen sich ähnliche komische, gleichbleibende Gestalten, und was ehemals der Hanswurst (namentlich der berühmte Prechhausen) in ganz Deutschland war und wirkte, spricht sich nur noch in Wien im Kasperle und in Bayern im Lipperl aus. – Dummheit und Tölpelhaftigkeit mit einem gewissen Grade von desto pikanter erscheinendem Naturwitze, der an jeder Sache die lächerliche Seite auf die oft unerwartetste Weise hervortreten heißt, sind beinahe bei allen Völkern die Grundzüge ihrer komischen Personen. – Von den unzählichen Abentheuern des Jocrisse die ihn sogar endlich (1809) in die Hölle brachten, ist meines Wissens nur vorliegendes Hausgesinde nach le desespoir de Iocrisse* bearbeitet, auf die deutsche Bühne gebracht worden. Zunächst in Wien von dem bekannten Komiker Hasenhuth, der unter dem Namen des Taddädls* sich selbst einen höchst komischen Charakter schuf, (besonders in Absicht auf Ton durch das fistulirende Sprechen und Schnarren in den höchsten Tönen) – und dann, auf etwas andere Weise gemodelt, von dem ehemals in Berlin angestellten Komiker Wurm. – In Wien wurde an die Stelle des da natürlich wirkungslosen französischen Vaudeville eine neue Musik geschrieben, von dem zuletzt bei dem Wiedner Theater als Compositeur angestellten talentvollen jungen Mann Herrn Fischer, der leider in der Blüte seiner Jahre vor kurzem starb, und schöne Früchte in der Folge versprochen hätte, indem er eine Mannigfaltigkeit lieblicher Melodieen, mit Laune und gründlichen Kenntnissen verband. Außer einer Menge von eingelegten Musikstücken in andere Opern nach der leidigen Willkühr in Wien, machten besonders von ihm die beiden Opern die Festung an der Elbe, in 3 Akten, und die Verwandlungen in 1 Akt, ausgezeichnetes Glück, und beweisen sein Talent. – Auch vorliegender Oper ist ihr verdienstliches nicht abzusprechen, und was das Ganze betrifft, kann man von ihr auch nur ihre Wirkung im Ganzen hoffen*, da Laune des Augenblicks und heitere Stimmung des Gebers und Empfängers die Hauptsache dabei thun, der Zergliederer seiner Freude überall zu kurz kommt und sich überhaupt von dieser Gattung nichts beßeres sagen läßt, als was Millin in seinem Magazin encyclopédique bei Gelegenheit des Iocrisse corrigé sagt: Ils font rire, c’est tout ce qu’il y a de mieux à en dire.

Editorial

Summary

Webers Einführung beginnt nicht wie üblich mit der Vorstellung des Komponisten, sondern mit der Erläuterung der Volksposse im allgemeinen und leitet dann über in die Beschreibung des Werkes und einige Worte zum Komponisten

Creation

13. Februar 1817 (laut TB)

Responsibilities

Übertragung
Veit, Joachim

Tradition

  • Text Source: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 42 (18. Februar 1817), f 2v

    Corresponding sources

    • Draft: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
      Shelf mark: Weberiana Cl. II a f 3. 22α

      Physical Description

      • keine sinntragenden Abweichungen gegenüber dem ED
      • über dem Ms. Titel: “Dramatisch-musikalische Notizen. Als Versuche durch kunstgeschichtliche Nachrichten und Andeutungen, die Beurteilung neu auf dem Königl. Theater zu Dresden erscheinender Opern zu erleichtern. von Carl Maria von Weber.”; Incipit: “Dienstag d: 18t. Februar zum 1.tnmale Das Hausgesinde, Oper in 1 Akt, nach dem Französischen mit Musik von Fischer.”; keine Datierung in A
      • einzelnes Bl. r und v (Format 35,5x20,4 cm, kein WZ erkennbar, schwache Kettlinien), von Jähns pag. mit 1 und 2
    • HellS III, S. 85–88
    • MMW III, S. 134–136
    • Kaiser (Schriften), S. 281–283 (Nr. 109)

    Commentary

    • “… Französischen, mit Musik von Fischer”Vgl. Webers Eintrag im TB unter 18. Februar sowie den Brief an C. Brandt vom 19.–21. Februar 1817. Weber hatte das Stück bereits 1814 in Prag einstudiert mit Caroline Brandt als Lorenz, vgl. das Prager Notizenbuch sowie den Spielplan 1814T.
    • “… nach le desespoir de Iocrisse”Le desespoir de Jocrisse, comedie-folie, en deux actes et en prose, von Louis Francois Archambault, genannt Dorvigny (1792).
    • “… unter dem Namen des Taddädls”Vgl. dazu Claudia Stoiser, „Thu jetzt die Kindereyen auf die Seite“ – Eine Darstellung der Thaddädl-Figur, Seminararbeit Graz 2010.
    • “… ihre Wirkung im Ganzen hoffen”Das Stück kam bei der Erstaufführung in Dresden nicht gut an; vgl. Webers TB-Eintrag. Die Aufführung am 1. Juni 1817 im Theater auf dem Linckeschen Bad, ebenfalls unter Webers Leitung, wurde dann erfolgreicher; vgl. wiederum TB sowie Brief vom 1./2. Juni 1817 an seine Braut.

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