Gustav Mahler to Max Marschalk in Berlin
Hamburg, Friday, December 4, 1896

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Mein lieber Freund!

Vor allem: Warum glauben Sie, dass mir Ihr Referat nicht „zugesagt“ hat? Weil ich Ihnen nichts darüber geschrieben? Wäre dieß der Fall geschrieben, so hätte ich es Ihnen ganz gewiß gesagt. So stehen wir doch zu einander, daß ich mir das hätte erlauben dürfen! — Ganz im Gegentheil: — Wie Sie schreiben, ist gerade nach meinem Geschmack! Um Gotteswillen nur keine Lobhudeleien! Die können nur schaden! Es kommt doch nicht auf den Weihrauch an! Zum Teufel, wir gerathen ja jetzt in einen solchen Strudel von | Personencultus, und galvanischer Begeisterung hinein, daß ein „kalter Kopf und warme Füße“ doppelt noth thut. Wie bin ich froh, daß es auch solche Menschen giebt, wie Sie und — ich. Gerade so ist es mir recht! Übrigens weiß ich gar nicht, warum Sie Ihren Aufsatz so zurückhaltend finden? Ich wüßte nicht, was Ehrenvolleres über mich hätte gesagt werden können. Und, aufrichtig gesagt, es war das erste Wort über mich, das mich wirklich befriedigt und erwärmt hat. – Lassen Sie mich sich von Strauss gründlich unterscheiden — und das, was Sie über mich sagen von dem, was die glatten Korybanten über diesen — verzeihen Sie das harte Wort — | Industrieritter! Man merkt es aus allen Äußerungen der Presse, daß er es versteht, seines Gleichen warm zu halten. — Kein Wort mehr über so etwas! So soll es bleiben, und lassen Sie sich nie verleiten, zu einer anderen „Weise“ verleiten! –

Hoffentlich hat Ihnen Sonne schon geschrieben. — Hier: Daten:

60 in Böhmen geboren. Meine Jugend auf dem Gymnasium verbracht – nichts gelernt, aber seit meinem 4. Lebensjahre immer Musik gemacht, und componirt, bevor ich noch Tonleitern spielen gekonnt. – In meinem 17. Jahre die Universität in Wien bezogen und statt den Vorlesungen (philos. Fac.) den Wiener Wald fleißig besucht.

ConservatoriumClavierComposition. 1. Preise erhalten — soll ich dieß erwähnen? | Hierauf im 19. Lebensjahre mit 30 Gulden monatl. an’s Theater! Jahre lang an kleinen Bühnen herumgetrieben. Erstes größeres Engagement in Prag. Hierauf Leipzig dann Pest als Operndirektor und von da nach Hamburg, wo ich seit 6 Jahren mich befinde. –

Mein erstes Werk, in dem ich mich als „Mahler“ gefunden ist ein Märchen für Chor, Soli u Orchester: Das Klagende Lied! Dieses Werk bezeichne ich als Op. 1. – Zum 1. Male an die Öffentlichkeit getreten, als Vollender und Ausgestalter der Pinto-skizzen von Weber. Ich halte dieses Werk für noch nicht abgethan, und bin überzeugt, daß es noch wieder aufgenommen werden wird, wenn der Realismus-Rummel ausgetobt haben wird. |

In Leipzig und Dresden steht es immer noch im Repertoire. — In Leipzig war übrigens die Erst-Aufführung unter meiner Leitung.

Als meine Hauptwerke bezeichne ich die Ihnen bekannten 3 Symphonien. Dazu eine ganze Menge von Humoresken für eine Singstimme und Orchesterbegleitung nach Art des fahrenden Gesellen den Sie gehört haben. Ein Mensch, der an die Galeere „Theater“ gekettet ist, kann nicht so viel Musik zusammenlaichen, wie die jetzigen Concertmatadoren. Er kann nur am „Feiertag“ schreiben. Aber dann concentrirt sich sein Innenleben in einem Werke. — Ich kann nicht anders, als mich in jedem Neuen ganz und gar geben. |

Wie ich zur Musik und zur Kunst stehe, habe ich Ihnen voriges Jahre in einem längeren Briefe auseinandergesetzt, dessen Sie sich vielleicht noch erinnern. Und außerdem wissen Sie es besser, als ich es zu sagen vermöchte aus den Werken, die Ihnen bekannt worden sind. Das Leben eines Musikanten bietet ja an äußeren Ereignissen Nichts. — Er lebt nach Innen. Es ist vielleicht ungemein bezeichnend, daß die Musiker für die bildende Kunst nur ein geringes Interesse aufzuweisen haben; sie er sind ist geartet, den Dingen auf den Grund zu gehen — durch die äußere Erscheinung hindurch.

Ich weiß wirklich nicht, ob ich noch | etwas zu erwähnen hätte.

Vielleicht „fragen“ Sie doch noch! — Ihre Meinung über Zarathustra ist mir sehr werthvoll. Belustigt hat es mich, daß Sträusschen nun auch zur Es-clarinette gegriffen hat, was sogar in einigen Referaten als kühne Neuerung bezeichnet worden ist. Na — ich überlasse ihm diesen Ruhm. Denn eigentlich ist es mir immer wichtiger erschienen was man schreibt, als wofür man es notirt. Ich dirigire in Leipzig Coriolan von Beethoven u Fantastique von Berlioz! Kommen Sie vielleicht mit? Das wäre hübsch, und Sie sähen mich doch einmal dirigiren! |

Nun herzlichen Dank für Ihr Freundeswerk. Ihr, unter der schneidenden Kälte eines winterlichen Ostwinds in einem noch nicht erwärmten Zimmer beinahe erstarrenderGustav Mahler

Ich muß schnell zum Ofen hin um mich zu erwärmen.
vielleicht Am Ende merken Sie es gar dem Briefe an.

Editorial

Summary

Stellungnahme zu einer Veröffentlichung Marschalks sowie zu Richard Strauss; übermittelt biographische Daten und Hinweise zu seinen Werken, mit der Vollendung der Pintos sei er erstmals als Komponist an die Öffentlichkeit getreten und hält das Werk noch nicht für “abgetan”, in Leipzig und Dresden stehe es noch auf dem Spielplan; generelle Bemerkungen zu seiner Stellung “zur Musik und zur Kunst”

Incipit

Vor allem: Warum glauben Sie, dass mir Ihr Referat nicht “zugesagt” hat?

Responsibilities

Übertragung
Frank Ziegler

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin - Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Mus. ep. G. Mahler 38

    Physical Description

    • 2 DBl. (8 b. S.)
    • auf Bl. 1r von fremder Hand oben rechts Datierung “4.12.96” mit Blaustift ergänzt, oben links mit Rötel “14” und unten links mit Blaustift “Mahler”
    • kleinere Textverluste durch lochen

    Corresponding sources

    • Mahler: Briefe, hg. von M. Hansen, Leipzig 1981, S. 173

Text Constitution

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  • e“E” overwritten with “e
  • G“g” overwritten with “G
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