Helmina von Chézy vermutlich an Wolf Adolph August von Lüttichau in Dresden
Genf, Sonntag, 17. September 1854

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Hoch und Wohlgeborner Freiherr
Hochverehrter General Intendant!

Von meinem Schmerzenslager aus, wo ertödtende Krämpfe, und ein, jeden Abend wiederkehrendes Fieber an meiner hinsinkenden Lebenskraft nagen, drückende Sorgen und grausame Entbehrungen meine Ruhe untergraben, wo der Verlust meines Augenlichtes, der mich zwar noch nicht in eine vollkommne Nacht gestürzt hat, aber dennoch jede Beschäftigung hindert, Diebstähle, und Betrügereien seit zwei Jahren, bis zur Ankunft meiner Muhme*, die zu mir gekommen, mich vom gänzlichen Untergang zu retten – möge noch Dank meines brechenden Herzens zu Ew. Exellenz hin erschallen, der Sie, nächst Gott, in meinen Drangsalen meinen Muth empor gehalten, und mir durch Friedrich August den IIten den Unvergeßlichen, eine allergnädigste Unterstützung ermitteln wollten. Liebreich hatte die allwaltende göttliche Vorsehung dem edlen sächsischen Volke den Trost bereitet, der die tief geschlagene Wunde heilte. Sachsen blieb unverwaist. In des Königs Herzen lebt Friedrich Augusts Herz. In den Sprößlingen seines Ehebundes, das Pfand einer glücklichen Zukunft, denn auf Ihnen ruht der Geist Ihres Stammes. |

Meine ehrfurchtsvolle Bitte (um Verfügung einer Vorstellung meiner Operndichtung Euryanthe, stützt sich vor Allem auf die Großmuth Ew. Exellenz, welche unaufhörlich die Ausübung Ihrer Gewalt durch menschenfreundliche Handlungen verherrlicht. Nächst dem dürfte ich anführen, daß das schöne Dresden für Weber, und mich, die Wiege unserer Schöpfung war. Im October 1820, wurde die Dichtung begonnen, und erst 1823 vollendetT. Immer lebendiger empfindet, seit der ersten Aufführung, das Publikum ihren Werth. Paris, und London, haben zwar nur eine Vorstellung der Euryanthe erlebt, weil die Zeit der Schuhmannschen Gesellschaft streng bemessen war*, aber der höchste Enthusiasmus krönte diese Abende und mir ahnet, daß die Zukunft diese Oper, für Webers köstlichstes Meisterstück erklären wird.

Fern von Hochmuth sagt mir mein Bewußstein, daß ich mir einen Theil dieses Ruhmes beimessen darf, er gebührt mir durch meinen treuen Fleiß, durch meine unbedingte Hingebung an Weber. Der berühmte Komponist Richard Wagner, der in seinem Buch „Oper und Drama“, ein vielleicht nicht ganz unentbehrliches Werk hervorgebracht[,] hat dem großen Tondichter Weber, und auch mir, nicht Gerechtigkeit wiederfahren laßen. Weber war kein Tirann, und ich bin stets für eine wahre Dichterinn gehalten worden! ich glaube nicht, daß die Nachwelt dies Urtheil wiederrufen werde. Von allen Werken Webers, wurde vorzugs|weise die Euryanthe erkoren, um zum Benefiz für die Hinterbliebenen Webers aufgeführt zu werden. Sollte der Dichterinn kein Anspruch auf die Theilnahme des Publikums zuerkannt werden?

Ew. Exellenz haben diesen Punkt vor Ihrer Entscheidung reiflich erwogen, nicht allein mit dem klaren Geiste, sondern mit dem gefühlvollen Herzen, unter Anerkennung der Berechtigung des Dichters. Der Zudrang des Publikums zu dieser Vorstellung der Euryanthe*, wird diese Handlung, als eine der Schönsten in den Annalen des Theaters rechtfertigen. Mehr als Rettung und Labung der leidenden Dichter-Greisin, wird dieser Zudrang bewirken er wird ihr das nahe Grab verklären. — Es wird der Nachwelt bestätigen, daß die der Kränze, und der Gesinnung würdig war, welche ihr die Mitwelt geweiht.

Es haben sich hier Hochverehrter Herr General Intendant Worte in die Feder gedrängt, welche in ihrer Wesenheit in dem Prologe stehen sollten, dessen Entwurf ich die Ehre hatte, Ihrer Frau Gemahlin zu übersenden. Sollten Ew. Exellenz diese Ideen eines Prologs im Allgemeinen genehmigen, so ist es vielleicht noch Zeit diese umzuändern. Ich erwarte hierüber ihre gnädige Entscheidung und verharre mit unaussprechlicher Verehrung und Dankbarkeit

Ew. Exellenz Sie segnende
Helmina v Chezy.

Apparat

Zusammenfassung

anlässlich der Neu-Einstudierung der „Euryanthe“ erbittet Chézy eine Vorstellung zu ihrem Benefiz

Incipit

Von meinem Schmerzenslager aus, wo ertödtende Krämpfe,

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Veit, Joachim

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (D-Bbbaw)
    Signatur: NL H. von Chézy 100

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. o. Adr.)
    • dikt. Brief oder Abschrift

    Einzelstellenerläuterung

    • 1820recte „1821“.
    • „… Schuhmannschen Gesellschaft streng bemessen war“Helmina von Chézy vermengt hier verschiedene Informationen: Die deutsche Operngesellschaft des Mainzer Theater-Unternehmers August Schumann gastierte zwischen dem 27. April und dem 24. Juli 1840 im Prince’s Theatre in London und gab dabei insgesamt sechs Euryanthe-Vorstellungen (3., 8., 10., 12., 15. und 26. Juni 1840); vgl. Weberiana 18, S. 149–151 sowie L. Wolff, Almanach für Freunde der Schauspielkunst auf das Jahr 1840, Berlin 1841, S. 365f. In Paris gastierte die Opéra Allemand unter August Röckel bereits 1831 mit der Euryanthe (5 Vorstellungen ab 14. Juni 1831); vgl. Mark Everist, Giacomo Meyerbeer and music drama in nineteenth-century Paris, Aldershot 2005, S. 248. Zuvor waren dort nur die Euryanthe-Bearbeitungen von Castil-Blaze gegeben worden; vgl. Heidlberger, Berlioz, S. 336–358.
    • „… zu dieser Vorstellung der Euryanthe“Neu-Einstudierung erfolgte am 16. September 1854; vgl. Sächs. Hoftheater-TB 1854, S. 32.

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