Friedrich Kind an Karl Theodor Winkler in Dresden
Dresden, Sonntag, 30. Juli 1826

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Herrn

Hofrath Winkler

alhier

Lieber Bruder!

Dein Brief hat mir einige unruhige Tage gemacht. Ich habe Rückblicke in die Vergangenheit gethan, habe mir überlegt, wie viel ich für die Ab.[end] Zeit.[ung] wirken wollte und wie wenig ich aus Rücksichten, die nicht die meinigen waren, und aus andern Gründen, die ich jezt nicht berühren mag, dafür wirken konnte, und das Ergebniß meiner Betrachtungen ist kein anderes gewesen, als daß in Hinsicht auf gedachtes Institut unsere Trenung mir Pflicht, daß sie unvermeidlich sei.

Wie du sagen kannst, wir hätten eigentlich gar nichts schriftlich festsetzen wollen, ist mir kaum erklärlich. Hn Arnolds legale Aufkündigung war ja schriftlich, und nicht schriftlich, ja nicht einmal mündlich von ihm selbst, zurückgenommen. Wir sagten ja noch, daß ich gieng, wir wollten zusammen kommen und den Aufsatz machen. Du kannst nicht, ich war auch behindert; aber meine Situation machte es nöthig, daß diese Angelegenheit auf irgend eine Weise zu Ende komme. So sandte ich dir denn den Entwurf des Aufsatzes, der ganz unserer Verabredung gemaß abgefaßt war und ohne deßen Unterzeichnung alles nur unvollständig gebliebene Tractaten blieben. Nun bist du aber mit ganz neuen Bedingungen hervorgetreten, deren zweite ich mit einer gewißen Beschränkung zugestanden haben würde, deren erstere aber alles, was vorher steht, wieder aufhebt u mich – vielleicht zu einer Zeit, wo sich mir keine günstige Gelegenheit zeigte – den obwaltenden Umständen, wovon ich nicht einmal genaue Wißenschaft erlangen könnte, und geradezu fremder Willkühr hingeben würde. Mit Herrn Arnold stehe ich in gar keiner Verbindung mehr; gleichwwohl hätte | dieser und du, als Mitbesitzer der Handlung zu bestimmen, ob dir, als Redacteur, zuförderst die Summe von 600 rh könne ausgezahlt werden, ehe sich bestimmen ließ, was man dem H. Kind etwa noch könne zukommen laßen. – Ich verdenke es dir nicht im mindesten, daß du dich möglichst zu decken suchst; eben so wenig, ja noch weit weniger wirst du mir es verdenken, da ich einzig u allein von dem ungewißen Ertrag meiner schriftstellerischen Arbeiten mich und meine Familie erhalten muß. So habe ich es denn natürlich vorziehen müßen, eine andere Verbindung einzugehen, die mir mehr Sicherheit und eine freiere, meinen Wünschen und Ansichten gemäßere Stellung gewährt, u scheide in Beziehung auf die Ab.[end] Zeit.[ung] von dir mit friedlichem u. freundlichen Herzen. Die deutsche Literatur-Welt ist groß genug; wir werden neben ein ander stehen können, ohne uns in den Weg zu treten, u ohne daß unsern übrigen angenehmeren Verhältnißen Eintrag geschehe.

Die Note quaest. kann immerhin wegbleiben, wie ich dir denn auch anheimstelle, ob du den Aufsatz selbst mittheilen, oder mir remittiren willst. Jeden falls würden darin die Worte: „in diesen Blättern“ – sie stehen da, wo von weitern Mittheilungen gesprochen wird – zu streichen seyn, da ich jetzt nicht weiß, wie bald, oder wie spät ich die Fortsetzung liefern kann. Mir schien es unrecht, das über dienstfertige CruterimErwartungen erregen, die nicht erfüllt werden können u. | W. schien mir eines falschen Rufes nicht zu bedürfen. Indeß giebt es, wie ich nun sehe, andere Ansichten, u. es kommt auf die meinige nichts an. Es ist mir noch nie in den Sinn gekommen, jemand schaden zu wollen; wie sollte mir jetzt der Gedanke eingekommen seyn, wo ich gern nützen möchte!

Der lezte Gegenstand deines Briefs ist – an sich und nach der jetzigen Lage der Dinge ein wahres Noli me tangere. Ich werde daher nur das Unerläßlichste darüber sagen. Es thut mir ungemein weh, unserer verehrten Freundin auch nur einen trüben Augenblick verursacht zu haben, aber eines Theils konnte ich hievon ja nicht das Mindeste ahnen, andern Theils scheint mir die Besorgniß der Fr. v. W. auch ohne Grund. Ich wußte kein Wort davon, daß noch eine zweite Abschrift der Bruchstücke* existire, u. wahrscheinlich hat sie W. auch später u zum Theil nach dem Gedrukten, fertigen laßen. Ich entsinne mich, daß ich W. einmal ein zweites Ex. jener Monatsstücke von der Muse* geben mußte, weil er die seinigen verlegt hatte. Eine Vergleichung der Abschrift mit dem Gedruckten muß dieß ausweisen, weil ich nicht blos die Erlaubnis von W. hatte, eins u das andere zu ändern, sondern dieß auch gethan habe – wiewohl er meinte, ich hätte noch nicht ändern sollen. Eben so wenig hatte ich die mindeste Ahnung davon, daß man beabsichtige, diese Bruchstücke herauszugeben. Wäre ich nicht zu dir gekommen, ich wüßte es vielleicht noch nicht. W. übergab mir das ganze Ms. so viel ich mich entsinne, im Spätsommer 1820. kurz vor einer Reise – ich glaube, Fr. v. W. war selbst zugegen – und zwar – unserer damaligen engen Verbindung – zu | meiner freien Disposition, ja, bis das Ganze einmal erscheine, als mein völliges Eigenthum. Er wollte auch, wenn ich nicht ganz irre, ich solle ein Lied einlegen – das an Emilien. Ich durchsah bald nachher das Ms. bemerkte einiges mit Bleistift, glättete dann das, was ich zuerst in die Muse gab. Ich hätte alles Übrige schon im 2ten Heft mittheilen können; allein mir fiel ein, daß das 4te Bruchstück – nach meiner Abtheilung; W. hatte sie etwas anders gemacht – ihm, dem Lebenden, unter der damaligen Constallation vielleicht nachtheilig werden könne; ich redete auch darüber mit Fr. v. Weber u. sie war meiner Meinung. So zögerte ich dann mit der ferneren Mittheilung eine Zeit lang u gab erst im 3ten Heft eine Fortsetzung – u dann keine weitere, was W. nicht einmal recht war, obgleich er sich gefallen ließ u die ganze Sache meinem Gutachten anheimstellte. Auch späterhin, ja selbst da, als durch mancherlei Zwischen-Trägereien eine Spannung unter uns eintrat, hat er nie den Wunsch geäußert, das Ms. zurück zu haben, oder es ungedruckt zu laßen, ich hätte davon Gebrauch machen können, so bald ich gewollt. Ich erwähne dieß blos, weil ich muß, jedoch mit dem Zusatze, daß, wenn ich die mindeste Vermuthung von der Intention der Fr. v. W. gewußthabt, es mir nicht beigekommen seyn würde ein ferneres Bruchstück bekannt zu machen*. Ich würde mir das größte Vergnügen daraus gemacht haben, ihr alles, was ich hatte, zurückzugeben. Auch bin ich hinsichtlich des noch Ungedruckten noch sehr gern dazu bereit, | wenn sie mir mit ein paar Worten ihren Wunsch deshalb bekannt macht. Es sind 13. folio-Blätter, mit Correcturen von W. u Bleistiftstrichen von mir – ich vermuthe jetzt, daß es ziemlich Alles sei. – Übrigens war mein Alm.[anach] schon völlig redigirt u das ganze Ms. nebst 11. Dichter-Reliquien schon in der Druckerei, als mir der Gedanke einkam: Du hast auch noch von W. – es würde Vielen angenehm seyn, auch von ihm etwas hier zu finden. An Gewinn war dabei kein Gedanke. Auch weißt du ja selbst, daß ein Alm.[anach] Herausgeber sein Honorar bekommt, mag der Alm.[anach] 20. oder 26. Bogen stark seyn u daß bei einer starken Auflage selbst d[en] Verleger ein Bogen Druck mehr kostet, als er mehr [ein]bringt. – So verhielt sich Alles; ich wollte, es wär m[ir] nicht eingefallen, allein es stand, da ich etwas von der Fr. v. W. Meinung erfuhr, nicht mehr zu ändern. Auch sehe ich in der That nicht ein, was daß Fragment den Erben schaden könne; es enthält nichts Scharfes, noch weit weniger etwas Persönliches, es enthält nichts, was nicht, nun schon auf andere Weise, oft gesagt worden ist, und die deutsche Oper erhält zuletzt auch ihr Kläpppchen.

Zudem habe ich auch – wie die Beilage berührt von einem folgenden Blatte das Datum – Darmstadt, d. 2. Oct. 1811. – darunter gesetzt, woraus sich ergiebt, daß das Fragment bereits vor 15. Jahren geschrieben sei. Vale et amare perge!"Kd.

Apparat

Incipit

Dein Brief hat mir einige unruhige Tage gemacht

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Weberiana Cl. V (Mappe IA), Abt. 3, Nr. 14a

    Quellenbeschreibung

    • 1 Dbl., 1 Bl. (6 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelrest

    Provenienz

Textkonstitution

  • „nach“über der Zeile hinzugefügt
  • „wußt“durchgestrichen
  • „habt“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • V. H.Abk. von „Von Hause“.
  • „… eine zweite Abschrift der Bruchstücke“Aus dem Romanfragment Tonkünstlers Leben.
  • „… jener Monatsstücke von der Muse“Bruchstücke aus: Tonkünstlers Leben. Eine Arabeske von Carl Maria von Weber, in: Die Muse, Bd. 1 (1821), H. 1, S. 51–72, H. 3, S. 81–98.
  • „… ferneres Bruchstück bekannt zu machen“4. Bruchstück aus: Tonkünstlers Leben. Eine Arabeske. Von Carl Maria von Weber, in: W. G. Becker’s Taschenbuch zum geselligen Vergnügen, hg. von Friedrich Kind, auf das Jahr 1827, Leipzig: Göschen, 1826, S. 371–385 (als Dichter-Reliquie, Nr. 12).

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