Carl Maria von Weber an Gioacomo Meyerbeer in Paris
München, Samstag, 26. August 1815

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A Monsieur

Monsieur Meyerbeer

Compositeur tres celebre pp

presentement

a

Paris

Rue de Richelieu

No: 71 prés l’opera;

Hôtel des languedociens

Lieber Bruder!

Deinen lieben Brief vom 23t Februar, erhielt ich d: 15t Aprill in Prag. zu einer Zeit wo die PostSperre nach Frankreich bey uns schon verhängt war. später wuste ich nicht mehr ob du noch da seyst, und lange schon, habe ich auch nichts mehr von deinen lieben Eltern gehört.      Es hat mich recht inniglich erfreut, daß du dich aus dem Strudel der Arbeiten, Abhaltungen pp die so leicht zur Saumseligkeit auffodern – ein 4tel Stündchen gerettet hast, um mit deinem alten treuen Freund Weber zu sprechen.      auch ich bin gewiß noch der alte, den weder Zeit noch Umstände, noch unterbrochener Briefwechsel, in seiner Freundschaft und Liebe für dich, ändern können.

Viel und mancherley hat sich mit mir in dieser Zeit ereignet; das bedeutendste aber, was seit Jahr und Tag schwer auf mir lag, und mich zu aller Arbeit unfähig machte, dir zu erzählen, vermag ich nicht, und muß es bis zu jener glüklichen Zeit aufsparen wo uns das Schiksal auf unsrer Bahn wieder einmal zusammen führt.      Mein übriges Thun und Treiben ist denn auch in wenig Worten zusammengefaßt. Als ich vor 2 Jahren von Wien zurükkam, stand ich eine schwere Krankheit aus die mich 6 Wochen im Bette hielt. statt mich darauf erholen zu können, begannen die OrganisationsGeschäfte der Oper. mit welchen VerdrußAkzidenzien so etwas begleitet ist, weist du, und so kam also eine beständige Kränklichkeit zu meiner vielen BerufsArbeit. doch hatte ich die Freude die Oper gedeihen, und blühen, und vieles zu meiner vollkommenen Zufriedenheit entstehen zu sehen. es waren doch Aufführungen in denen einmal ein Geist herrschte, und zwar – der unsrige, dem man wenigstens Mangel an lebendigkeit und Feuer nicht vorwerfen kann.      Meine Gesundheit trieb mich endlich im July 1814 ins Bad Liebwerda, und von da meine Anhänglichkeit, – nach Berlin wo ich neue Kraft und Lust zur Kunst sammelte. im August ein brillantes Concert gab*, und im September über Leipzig, Gotha Weimar, die Rükreise antrat.      das folgende Jahr vergieng abermals im Geschäfts Drange.      als Klavierspieler an Ausbildung zu denken war ganz unmöglich, als Componist, konnte ich nur wenig leisten.      niedergedrükt an Geist und Körper begann ich im Juny dieses Jahres eine 2t Urlaubs Reise, die mich hieher nach München zu Freund Bärmann und allen denen Guten die du kennst führte*. Mein Concert hier verschob sich bis zum 2t AugustT, /: wo es mit allem gehörigen Erfolge vor sich gieng :/ und verhinderte mich dadurch meinem anfänglichen Planen gemäß über Gotha und Leipzig zurükzukehren. Zugleich faßte ich die Idee, eine große Cantate von der dir Wohlbrük des breiteren erzählen wird, zu schreiben, und deshalb den Rest meines Urlaubes hier zuzubringen.      d: 5t September kehre ich nach Prag zurük, und hoffe von dir dort eine freundliche Antwort. Schreibe nur wenige Zeilen, aber öfter.      laß uns nicht wieder so lange auseinander seyn, – brieflich – nehmlich. Man hat sich dann so viel | zu sagen, daß man unwillkührlich dazu gezogen wird sich gar nichts zu sagen.      Von Gottfried habe ich vor ein paar Tagen erst ein bitteres Lebenszeichen erhalten*, er hatte auch alle scheinbaren Ursachen auf mich böse zu sein, denn ich habe ihm seit 8 Monaten nicht geschrieben.      Gänsbacher ist noch Diener des Mars, organisirt in Insbruk das 2t Battallion Jäger, und ist in diesem Augenblik nach Prag geschikt um eine Harmonie zu engagiren. ist das nicht Hunde Malheur, daß Er hingehen muß wenn ich nicht da bin?*

Mit Freuden und brüderlichem Stolze habe ich überall die Spuren deines Ruhmes gefunden. unzähligemal bist du der gegenstand unseres Gesprächs. Freund Bärmann und Harlas, die hier neben an sizzen, grüßen dich zwar herzlichst, aber ersteren konnte ich nicht bewegen dir nur ein paar Zeilen zu schreiben, weil du gar zu heilig versprochen habest es zu thun, und seit deiner Abreise kein LebensZeichen von dir gegeben hättest.      thue es mit ein paar Worten und erfreue dadurch diese trefflichen Menschen.

In einem gestern erhaltenen Briefe aus Prag finde ich, daß man deine Oper die beyden Kalifen, einstudirt. was wahrscheinlich Ehlers betrieben hat, der jezt bey uns ist.      du Gottloser hast niemals ein Werk von dir meinen treuen Händen anvertrauen wollen.      darf ich nicht Jephta geben? ich habe mich hier an dem Studium der Partitur ergözt. Es sind große herrliche, deiner würdige Sachen darin. Nur eine gewiße Gemischtheit des Styles hätte ich auszusezzen die ich aber auf local Ursachen beziehe.

Beruhige mich doch über das Schiksal deiner Brüder*. ich habe nicht den Muth deine Eltern darum zu befragen, da vielleicht doch einer das Opfer der großen Weltbegebenheiten geworden sein könnte, und ich nicht gerne eine Wunde wieder aufreißen möchte.

Was meinen ferneren LebensPlan betrifft, so bin ich entschloßen mich nach Ablauf meines Contractes in Prag im Sept: 1816, wieder dem offenen Kunst Meere Preiß zu geben, und einige Jahre zu reisen. von Prag nach Berlin, Hamburg, pp dann nach Italien pp. nach Paris möchte [ich] wohl auch einmal wieder, wenn die Zeiten ruhig sind, da ich aber nicht so unbedingt reisen kann, sondern auch aufs Erwerben und dadurch existiren denken muß, so hoffe ich von dir zu erfahren, ob leztere Fälle in Paris möglich sind, und auf welche beste Art.

Nun lieber Bruder lebe wohl und glüklich. ich drükke dich in Gedanken innigst an meine Brust, erhalte mir deine Liebe, und schreibe bald wieder deinem ewig treuen Bruder Weber

Von dem Ue[ber]bringer dieses H: Profeßor Tiersch wird dir Wohlbrük mehr geschrieben haben als ich es kann. Es ist ein trefflicher geistreicher Mann, und Verehrer alles Schönen.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über sein Ergehen seit zwei Jahren (u.a. über seine Tätigkeit an der Prager Oper); Austausch über gemeinsame Bekannte; möchte „Jephta“ in Prag zur Aufführung bringen; teilt Pläne mit, nach Ablauf seines Vertrags in Prag längere Zeit auf Reisen (Italien, Paris) zu gehen

Incipit

Dein lieber Brief vom 23t Februar, erhielt ich

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: N. Mus. Nachl. 97, A/30

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegelspur u. -loch
    • Faks.: Sotheby’s (21. / 22. Mai 1987), Nr. 455, S. 206 (nur Ausschnitt von Bl. 1v)

    Provenienz

    • Sotheby, 21./22. Mai 1987 (mit Teil-Faks.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Becker (Meyerbeer) I, S. 281–283

Textkonstitution

  • „und“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… August ein brillantes Concert gab“Am 26. August 1814T.
  • „… Guten die du kennst führte“Vgl. die Tagebuchnotizen vom 18. Juni bis 5. September 1815.
  • „… erst ein bitteres Lebenszeichen erhalten“Vgl. den Brief Webers an Gottfried vom 20. August 1815, in dem er auf die wenigen Zeilen Gottfrieds vom 9. August eingeht und den Grund seines langen Schweigens auseinandersetzt.
  • „… ich nicht da bin ?“Zu Gänsbachers Prag-Aufenthalt 1815 vgl. den Kommentar zum Brief an Gottfried Weber vom 20. August 1815.
  • „… über das Schiksal deiner Brüder“Der älteste Bruder Heinrich diente während des Frankreich-Feldzuges bei der Armee, er war Sekondeleutnant im 1. schlesischen Husarenregiment und befand sich zur Zeit bei Meyerbeer in Paris; vgl. Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 646.

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