Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Hosterwitz, Mittwoch, 8. Juli 1818

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S. Wohlgebohren

dem Herrn Profeßor Dr: Hinr: Lichtenstein

Director des Königl. Zoologischen

Museums

zu

Berlin

Seit ungefähr 14 Tagen genieße ich einer Ruhe wie sie mir seit Jahren nicht zu theil geworden ist.      Ich lebe auf dem Land in herrlicher Natur und einer friedlichen Stille die mir erlaubt einmal ganz mir selbst und meinem inneren Treiben zu leben, ohne alle Augenblike durch Besuche, Anfragen pp gestört zu werdenT. Ich wollte du könntest das auch einmal schmekken, du eben so wie ich in deiner Zeit Zerbrökelter, der jeden Augenblik zur Arbeit nur ängstlich stehlen muß.      Hoffe hier was Rechts zu Wege zu bringen, und besonders mir Alles angefangene vom Halse zu schaffen. da gehört es denn zu meiner Erholung mit meinen Lieben zu plaudern, und daß will ich nun mit dir thun da mir dein lieber Brief vom 9t May gar viel Stoff zur Freude gegeben hat.      Ich wuste es wohl daß Ihr den 4t 9ber* unsrer gedenken würdet, und solche Gewißheit ist eine förmliche GeistesNäherung die Berge und Thäler überfliegend und gleichsam die Hände zu reichen erlaubt. 1000 Dank Euch und Gott dafür, daß es so ist. Glüklich bin ich, und ganz neugierig darauf wie mir als Vater zu Muthe sein wird. die Gesundheit meiner geliebten Lina die wirklich außerordentlich ist, macht mich schon ganz furchtlos für den entscheidenden Augenblik.      Glüklich preise ich Euch bey dem Gedeihen meines Pathchens, und wünsche mir gleiche Ruhe und Festigkeit zur Erziehung meines zu Hoffenden Wesens. deine Ansichten dabey sind /: wie gewöhnlich bey uns :/ ganz die Meinigen.

Der September bringt dir neue Freuden*, mir der Dezember*. diese Verschiedenheit der Zeit aber wird uns die Freude uns zu sehen wohl zu Waßer machen. Ich kann weder glauben daß meine Oper so bald vollendet sein könnte, noch – daß sie so schnell zur Aufführung in Berlin käme.      Deine vorhabende große Reise wird dich wohlthätig durcheinander schütteln, So etwas ist immer heilsam, und das Schwerste nur die Trennung vom geliebten Weibe. Beim Rükwege hoffe ich aber ihr werdet in Dresden bey Webers einsprechen.

Mit dem nach Berlin komen ist es so eine SacheT, mir scheint fast – nun ist es zu spät, es müste sich seltsam hier oder dort fügen, man kann über so etwas nicht bestimt absprechen. aber es müste jezt viel, sehr viel von Berl: Seite geschehen um mich dazu zu bestimen. Warum dieß, troz meiner gewiß großen Liebe zu meinen Freunden dort, ist hier zu weitläufig zu erörtern, mündlich einmal davon, und du wirst mir Recht geben.      die Marsch Idee ist so übel nicht*, kömt übrigens | Zeit soll dazu wohl Rath werden.      Vom Grafen Brühl muß ich es aber dankbar anerkennen, wie lebhaft Er jede Gelegenheit ergreifft mit mir in Berührung zu kommen und zu bleiben. durch Ihn komt ihr schneller dazu meine Meße zu hören, als ich es wohl mit dem besten Willen selbst hätte zu Stande bringen können, da sie Eigenthum des Königs ist, und man etwas eifersüchtig auf dergleichen Hier sieht. sie wird nächstens in der Garnisonkirche gegeben werden*, und du kannst dir ja nun mit meiner Bewilligung die Partitur dann auf einige Zeit vom Grafen Brühl geben laßen*, um sie mit unsern Freunden am Klavier zu verzehren.      der Zufall hat gewollt daß ich sie den Holländern zu hören geben konnte. Wer wird sie wohl dirigiren in Berlin? ich habe mit Fleiß nichts darüber geäußert.      Erst Heute habe ich auch wieder eine Arbeit für Brühl vollendet. Eine Arie für Mad: Milder in die Lodoiska von Cherubini zum 3t August. Es ist sünd und Schade daß sie die herrliche von Cherubini* nicht singt, doch begreiffe ich daß sie gar nicht für ihre Stimmlage paßt. Sollte es denn einmal was Eingelegtes sein, so wars doch beßer daß es ein deutsches Herz das den Meister hoch ehrt, wagte, als daß so ein italienisches lirum larum seine Gewäßer in diesen Gewürzwein goß.

Wenn ihr meine Meße hört, so gedenkt meiner in Liebe, denn sie kam ganz aus meinem Herzen, und ist des Besten was ich geben kann. Könnte mancherley drüber sagen, bin aber zu faul dazu.      hört sie.

Die Cousine Girard soll uns bestens willkommen seyn, – und ich bitte dich bey dieser Gelegenheit der holden Mutter meine freundlichen Grüße zu sagen, – wenn sie nehmlich hieher komt, weis ich aber wann sie in Dresden ist, so hole ich sie wohl auch heraus.

Künftigen Samstag erwarte ich die gute Koch, die soll mir was rechtes erzählen.

Was wird aus der SingAkademie werden? ist doch jammerschade, ein so herrlicher Verein. –

Nun Lebe wohl, recht herzlich wohl. Meine Frau grüßt mit mir aufs innigste, die deine, deine lieben Eltern, und alle Freunde. Bleibt Gesund und liebt Euren treuen Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Freude über Ruhe in Hosterwitz, von der er Inspiration erhofft; Familiäres; über Freischütz u. Berliner Anstellung; über seine Messe u. deren Auff. in Dresden; Aufträge von Brühl; Privates

Incipit

Seit ungefähr vierzehn Tagen genieße ich eine Ruhe

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37, Nr. 26

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 171–172
    • Rudorff 1900, S. 87–91
    • Worbs 1982, S. 87–89

    Einzelstellenerläuterung

    • „… den 4 t 9 ber“Hochzeitstag Webers.
    • „… September bringt dir neue Freuden“Lichtensteins Sohn Anton August Heinrich wurde am 29. September 1818 geboren.
    • „… Freuden , mir der Dezember“Webers erstes Kind, die Tochter, Auguste, wurde am 22. Dezember 1818 geboren.
    • „… Idee ist so übel nicht“Friedrich Wilhelm III. war ein großer Liebhaber der Militärmusik; möglicherweise hatte Lichtenstein Weber vorgeschlagen, um den König positiv für eine erhoffte Berliner Anstellung Webers zu stimmen, diesem einen Marsch zu widmen. Umgesetzt wurde eine solche Idee allerdings nicht.
    • „… in der Garnisonkirche gegeben werden“Die geplante Aufführung kam nicht zustande; die Berliner Erstaufführung des Werks fand erst am 10. September 1827 statt; vgl. WeGA, Bd. 1/2, S. 320f.
    • „… vom Grafen Brühl geben laßen“Die laut Tagebuch am 19. Juni 1818 von Weber an Brühl versandte Partiturkopie der Messe befindet sich noch heute in Berlin (D-B, Mus. ms. 22720).
    • „… sie die herrliche von Cherubini“Arie der Lodoiska in der 2. Szene im II. Akt: „Che dico, oh Cielo! / Ahimè! In questo crudele asilo“.

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