Carl Maria von Weber an Hinrich Lichtenstein in Berlin
Dresden, Donnerstag, 27. Januar 1820

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S. Wohlgebohren

dem Herrn Profeßor Dr: Lichtenstein

Direktor des zoologischen

Museums

pp

zu

Berlin

UniversitätsGebäude

Nein! mein vielgeliebter Bruder, unter uns bedarf es keiner Auffrischung, und kein unterbrochener Briefwechsel kann uns eine Unterbrechung unsrer Treue und Anhänglichkeit befürchten laßen*. Wir theilen ja beide das Looß täglich mehr der Welt zu verfallen, und da muß denn immer zunächst die uns persönlich näher liegende Freundes Verbindung scheinbar darunter leiden, und je mehr man in den großen Strudel gezogen wird, desto einsamer wird es ganz in der Nähe. doppelt wohlthuend ist denn auch ein Freundes Wort, und so hat mich das deinige unendlich erfreuet, weil es mir wahrhaftig nicht in Sinn gekommen war es jezt schon zu erwarten. Wie viel 1000 Dinge umschlingen den von einer solchen Reise Zurükgekehrten. Wie viele in der Fremde angeknüpfte Fäden sind festzuhalten, wie viel Angehäuftes zu beseitigen, wie viel zu ordnen, wie viel zu berichten – das kenne ich. daher doppelt Dank dir, lieber Bruder für deinen Brief der mir so viele Freude dadurch machte, daß er mich deines innern und äußern Wohlbefindens versichert. In die 4 Pfähle meines Hauses ziehe auch ich mich täglich mehr zurük, und bin darin sehr glüklich. So erträgt sich auch alles äußere Ungemach leicht, deßen ich wohl mancherlei habe, aber eben nicht mehr als jedes Verhältniß in der Welt bieten würde.      Was freue ich mich darauf einmal recht mit dir mich aussprechen zu können. Meine Ankunft in Berlin ist noch gänzlich unbestimmt, da H: Spontini mit seiner Olimpie meiner Jägersbraut in den Weg tritt. Meine Oper ist nun verschoben und ich kann noch nicht mit Gewißheit bestimmen wann sie sein wird. wahrscheinlich gegen den Herbst zu.      deine herzliche Auffoderung bei dir zu wohnen kann ich dießmal nicht annehmen, da ich es Beers habe heilig versprechen müßen dießmal bei ihnen zu wohnen*. das soll uns aber nicht hindern fleißig beisamen zu sein, und du erlaubst mir dein | Haus zur Stadt Niederlage.      Gestern habe ich Meyerbeers neuste Oper Emma di Resburgo italienisch gegeben*. Sie wurde mit Enthusiasmus aufgenommen. ich fürchte daß dieß in Berlin nicht so der Fall sein wird*. Wir sind hier ganz italienisirt. Mir blutet das Herz zu sehen wie ein deutscher Künstler mit eigener SchöpfungsKraft begabt, um des leidigen Beyfalls der Menge willen, zum Nachahmer sich herabwürdigt. Ist es denn gar so schwer den Beyfall des Augenbliks, ich sage nicht – zu verachten, aber doch nicht als Höchstes anzusehen? – Kannst du zufällig meinen Aufsaz über Meyerbeer in der Abendzeitung lesen, so thue es.      übrigens bitte ich dich, dieß nur dir gesagt sein zu laßen. um der braven Eltern willen, und in der Hoffnung daß Meyerbeer selbst von seiner Verirrung zurükkehrt.

Mit meiner Gesundheit geht es bis auf einen ziemlich heftigen Husten recht gut. auch meine Karoline nimmt an Kräften und Heiterkeit zu.

Ich werde bald einige Stükke meiner Oper im Klavierauszuge nach Berlin schikken, damit ihr das Dings vorher ein bischen kennen lernt*.

Nun alles weitere aufs mündliche. welch herrliches Wort.
Meine Frau grüßt vor allem mit mir deine liebe Victoire. dann empfiehl mich den verehrten Eltern und allen Freunden aufs beste. Dir wie immer treue Liebe und Bruderkuß von deinem
Weber.

Apparat

Zusammenfassung

Privates; Zeitpunkt seiner Ankunft in Berlin noch fraglich, Aufführung sei noch unbestimmt, da Spontini mit seiner Olympia in den Weg trete; er habe Meyerbeers Emma gegeben; fürchtet Italianisierung; verweist auf Meyerbeer-Artikel; will Teile des Freischütz im Klavierauszug zum Kennenlernen für die Freunde nach Berlin schicken

Incipit

Nein! mein vielgeliebter Bruder, unter uns bedarf

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Leipzig (D), Leipziger Stadtbibliothek – Musikbibliothek (D-LEm)
    Signatur: PB 37, Nr. 28

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (3 b. S. einschl. Adr.)
    • Siegeleinriss

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Rudorff: Westermanns illustrierte deutsche Monats-Hefte, 44. Jg. (1899), 87. Bd., S. 173–174
    • Rudorff (Lichtenstein)1900, S. 94–97
    • Worbs 1982, S. 92–94
    • tV: Neue Musik-Zeitung, Jg. 3, Nr. 11 (1. Juni 1882), S. 3–4

Textkonstitution

  • „sich“über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

  • „… Treue und Anhänglichkeit befürchten laßen“Nach Webers Brief vom 8. Februar und Lichtensteins Antwortschreiben aus demselben Monat pausierte die Korrespondenz bis zu Lichtensteins Brief vom Dezember 1819.
  • „… dießmal bei ihnen zu wohnen“Damit standen offenbar Webers Brief an A. Beer vom 6. Dezember 1819 und die nachfolgende Zuschrift von H. Beer in Zusammenhang. Während des Berlin-Aufenthalts von Mai bis Juni 1821 wohnte das Ehepaar Weber beim Ehepaar Wilhelm und Doris Beer in der Behrenstraße 34.
  • „… Emma di Resburgo italienisch gegeben“Dresdner Erstaufführung am 26. Januar 1820.
  • „… so der Fall sein wird“Vgl. den Verriss zur Berliner Erstaufführung in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen, 1820, Nr. 50 (25. April) und Nr. 51 (27. April), gezeichnet „O.“ sowie den Bericht in der Abend-Zeitung vom 19. April 1820. Nach drei Aufführungen (11. und 22. Februar sowie 23. April 1820) verschwand die Oper in Berlin vom Spielplan.
  • „… vorher ein bischen kennen lernt“Weber hatte gerade erst die Vorarbeiten zur Erstellung des Auszugs in Angriff genommen; vgl. den Tagebucheintrag am 26. November 1819.

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