Chronik der Königl. Schaubühne zu Dresden vom 23. bis 24. Februar 1817

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Am 23. Februar. Der Rothmantel.

Am 24. Februar. Zum Erstenmale; Fanchon, das Leyermädchen. Vaudeville in 3 Akten von A. v. Kotzebue. Musik vom Kapellmeister Himmel.

Wem, der in der theatralischen Welt nur etwas bekannt ist, schwebt nicht die freundliche Erinnerung einer früher gesehenen holden Fanchon vor Augen, und sieht ihm als wohlthuendes Gebild im Herzen? Schreiber dieses unter andern, sah die vielleicht vorzüglichsten Künstlerinnen, welche diese Rolle je gaben, die verewigte Bethmann in Berlin – für welche die Fanchon recht eigentlich von Kotzebue auf deutschen Grund und Boden verpflanzt ward, – und die damalige Demoiselle Jagemann, jetzige Frau von Heigendorf in Weimar. Mit solchen Bildern nun verglichen, und hinzugerechnet den Reiz der Neuheit bei frühern Aufführungen dieses Vaudeville, konnte allerdings bei den wenigsten Zuschauern, und so auch bei dem gedachten Schreiber, Dem. Lindner welche hier die Fanchon als zweite Gastrolle darstellte, keine Wirkung hervorbringen, die unwillkührlich zu Beifall oder Bewunderung hingerissen hätte. Eben daß sich Dem. Lindner Mühe mit dieser Rolle zu geben schien, verdarb den Eindruck; denn in dieser Mühe ging der zarte Farbenschmelz unter, welcher wie auf Schmetterlingsflügeln, auf den feinen Nüanzen dieses Charakters ruht. Und er ist und bleibt für die Darstellung einer der schwierigsten, so wenig dies von hundert Fanchons, welche schon aufgetreten sind, neunzig haben glauben wollen. Das Leyermädchen, das auf den Boulevards Geld von den Vorübergehenden empfängt, bis zu der stolzen Künstlerin, die der Frau von Roussel sagt, daß hochgeboren nicht stets edel geboren, und niedrig geboren oft hochgeboren sei, von dem tändelnden Kinde bis zu dem in Liebe alles aufopfernden und doch wieder dem reichen Geliebten gegenüber sich fühlenden Mädchen, welch eine Stufenleiter! Und wie mannigfache Nebenzüge der Mutter der Armen, der Schützerin der Unschuld, der liebenden Schwester, der vergebenden Freundin, noch dabei! Und doch findet man Fanchon auf jeder Rollenliste einer angehenden Sängerin, so wie die Jungfrau von Orleans meist der kaum beginnenden Schauspielerin zum Versuch dient! In den lebendigern, unbefangnern Stellen hatte Dem. Lindner manches Gute, weniger in den ernstern, tief und still ergriffenen, am wenigsten in den heftig erregten und würdevollen. O! welche Wahrheit der leidenschaftlich bewegten Seele, liegt in dem köstlich componirten Tonstück: „Fort, daß die Leyer klinge!“ Aber welche Kraft erfordert es auch! Wir sahen beim ersten Vers Dem. Jagemann heftig die Leyer ergreifen, beim zweiten sie sich halb unbewußt umhängen, und so fortstürmen, hinaus, selbst bewegter in das bewegte Leben. Handschuh und Schnupftuch dürfen hier durchaus nicht die Hände beschäftigen.

Herr Wilhelmi hat uns als Oberst Francarville sehr gut gefallen, auch sang er sehr brav, eben so Dem. E. Zucker als Florine. Herr Zwick gab wohl keinen galanten französischen Abbée, aber dafür ¦ einen recht ergötzlichen lebenslustigen. Dem. Schubert hatte, wie wir hörten, die Rolle des André wegen Krankheit eines Schauspielers in Zeit von zwei Tagen einstudiert und man muß ihr dafür sehr dankbar seyn. Dem Tapezier Martin hätten wir mehr Komisches gewünscht*. Er mag immerhin etwas Karikatur seyn, es hat nichts zu bedeuten, vielmehr fodert dies überhaupt das Operngenre, und man macht sich ja selbst im Stück von allen Seiten über seine Figur lustig.

Endlich noch eine Bitte. Wäre es denn nicht möglich, uns bei der allgemein bekannten Arie des Abbée, den Namen unsrer verehrtesten Königin, wie es ja überall geschieht, hören zu lassen, daß wir ihr hier aus tiefem Gefühle unsre Huldigung bringen könnten? Das Wort Saxonia gewährt uns zwar stets auch ein treues Hochgefühl, aber in diese Liste von Taufnamen paßt es ja doch nicht, und ist nicht deutsch, und kam noch dazu erst im Refrain vor, da es doch der ganze Mechanismus der Arie am ersten Schlusse derselben schon gefodert hätte. Auch machte uns ja der darstellende Künstler durch seine deutenden Blicke selbst auf das aufmerksam, was wir zu hören hofften.

Th. Hell.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsbericht Dresden: 23.bis 24. Februar 1817 / darunter „Fanchon“ von Himmel am 24. Februar

Entstehung

vor 04. März 1817

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Goldlücke, Annelie

Überlieferung

  • Textzeuge: Abend-Zeitung, Jg. 1, Nr. 54 (4. März 1817), Bl. 2v

    Einzelstellenerläuterung

    • „… hätten wir mehr Komisches gewünscht“Die Partie gab F. Burmeister.

      XML

      Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
      so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.