Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“ (Teil 5 von 5)

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Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“. Von Carl von Weber.*) (Schluß.)

Als Grund des schließlichen Verzichtes auf die Ergänzungsarbeit an den Pintos gab Meyerbeer die Unzulänglichkeit der vorhandenen Entwürfe* an und that F. W. Jähns gegenüber, in die letzteren deutend, die Aeußerung: „Hier z. B. ist eine nicht zu enträthselnde Stelle; die Lösung von dergleichen, wie bei unzähligen Fallen in seinen Werken, ist nur eine Note; diese eine aber wußte er und ohne sie war zuweilen reizlos, was durch sie zur höchsten Wirkung gelangte“. Hiermit schloß Meyerbeer’s Beschäftigung mit den „Drei Pintos“. Unerklärlich und bedauerlich bleibt es, daß von den Arbeiten Meyerbeer’s an den „Pintos“ nach Angabe seiner Erben durchaus keine Spuren übrig geblieben sind. Selbst das Material, welches ihm zur Verfügung gestellt worden: eine Abschrift der Original-Entwürfe* und eine Anzahl ungedruckter wie gedruckter Werke Weber’s* sind wieder in die Hände ihrer Besitzer zurückgekehrt, ohne irgend welche Andeutungen, inwieweit Meyerbeer sich mit ihnen beschäftigt. Die Arbeit daran ist also offenbar nur im Geiste vor sich gegangen*. Dieselbe hätte nur zu einem Ergebnisse führen können, wenn sie von einer unbedingten Hingabe an das schwierige Vorhaben gefördert worden wäre. Daß für diese innerhalb der Jahre reißenden Aufsteigens eines reichen Künstler-Lebens kein Raum gewesen, ist erklärlich. Der endliche Entschluß, die Arbeit niederzulegen, ist bei Meyerbeer daher wohl weniger der Erkenntniß eines persönlichen Unvermögens oder einer sachlichen Unmöglichkeit der Ausführung, als vielmehr der fortdauernden Wirkung jener mächtigen Einflüsse entsprungen. In dieser Auf¦fassung bestärkt ums der Umstand, daß der Gedanke, die Ausgestaltung der „drei Pintos“ aufzugeben, nicht unmittelbar vor dem Entschlusse hierzu von Meyerbeer gefaßt worden ist. Sir Julius Benedict erzählt („Weber“ pag. 174), daß, als er etwa im Jahre 1848 Meyerbeer in Paris besuchte und mit ihm über die „Drei Pintos“ sprach, dieser ihn damals schon aufgefordert habe, die Arbeit zu übernehmen. Benedict erklärt an der fraglichen Stelle weiter, daß wenn ihm, der die Entwürfe sowohl durch Weber’s Vortrag als aus den Niederschriften so genau kannte*, dieser Antrag kurz nach Weber’s Tode, oder ein bis zwei Jahre nach demselben gemacht worden wäre, „er das Fehlende ergänzen und jedenfalls eine Pianoforte-Bearbeitung hätte herstellen können, welche die Harmonien und Hauptzüge jeder Nummer enthalten hätte. Im Jahre 1848 aber war es zu spät, denn jede Erinnerung an die reizende Musik war unwiederbringlich verloren“. Mit Carolina von Webers Tode (1852) übernahm ihr Sohn Max Maria, die Nachlassenschaft Carl Maria von Webers und damit auch im Sinne der Mutter die weitere Sorge für eine Ausgestaltung der Entwürfe zu den „Drei Pintos“.* Schon wenige Monate nach Uebernahme seiner Erbschaft trat er mit einem der hervoragendsten Musiker der Zeit, Vincenz Lachner, in Verbindung. Die Aeußerungen des letzteren über die Ausführbarkeit eines solchen Unternehmens sind interessant genug, um ihre Wiedergabe an dieser Stelle zu rechtfertigen. Sie lauten in einem Briefe an M. M. von Weber vom 7. April 1852: „Es hängt bei der Composition einer Oper außerordentlich viel von der Wahl des Libretto ab und hat vielleicht ihr Herr Vater die Composition der Oper absichtlich nicht vollendet, weil das Libretto ihm nicht convenirte; daher bitte ich Sie, mir das Buch der Oper gefälligst zur Durchsicht zu schicken. Zugleich wäre es höchst erwünscht zu wissen, was an der Oper bereits componirt ist, ob die vorhandenen Brouillons zusammenhängen, ob sie bereits instrumentirt oder ob es vielleicht nur Skizzen sind. Nach Ihrem geehrten Schreiben* zu schließen, scheint es sich mehr darum zu handeln, die Oper zum größten Theil erst neu zu componiren und ihr mit Benützung der vorhandenen Fragmente, soweit dies der Nachahmung | möglich, den Stil des großen Verstorbenen anzupassen, – als eine großentheils vollendete Oper durch Ausfüllung einiger Lücken und Ordnung des Ganzen zur Aufführung herzustellen. Für den ersten Fall dürfte sich nicht leicht ein Componist finden, denn er wäre in dem Falle, eine Oper zum großen oder größeren Theile neu zu componiren, ohne ein eigentliches Recht der Autorschaft daran zu erwerben. Ein Anderes ist’s, wenn der Nachlaß dieser Oper sich über die Hauptkatastrophen des Libretto erstreckt und die Zeichnung der hervorstechenden Charaktere wenigstens genau angedeutet, wenn auch nicht vollständig ausgeführt ist. Sie werden mich sehr verbinden, wenn Sie mir gefälligst außer dem Buche der Oper auch den Umfang der Fragmente mittheilen wollten etc.“

Es sind in diesen wenigen Zeilen die Schwierigkeiten des Unternehmens treffend gekennzeichnet: Die rechtliche Seite desselben war bei der damals so unvollkomenen deutschen Gesetzgebung über das geistige Eigenthum ein schwer zu überwindendes Hinderniß, der vorhandene musikalische Stoff schien den oben ausgesprochenen Anforderungen nicht zu genügen, da Meyerbeer’s Rücktritt von der Bearbeitung desselben und seine denselben begründenden Aeußerungen ihn für unzulänglich und unzugänglich erklärt hatten. Die Gewinnung und Festhaltung dieser Anschauungsweise machte die Förderung der Angelegenheit unmöglich, weitere Versuche wurden allmählich eingestellt. Zweifellos trugen zur endlichen Aufgabe derselben auch persönliche Einflüsse bei, die einer Ausgestaltung des Fragments grundsätzlich entgegen waren und sich in dieser Richtung zuletzt entscheidend geltend zu machen vermochten. Und so blieb denn die ganze Angelegenheit bis zum Tode Max Maria von Weber’s (1881) vor ihren Anfängen stehen.

Als die kostbaren Entwürfe* in meine Hände kamen, ererbte auch ich mit ihnen jene Auffassung der sie beherrschenden angeblichen Unmöglichkeiten und wurde zunächst in derselben durch die Ansichten der hervorragenden Musiker bestärkt, denen ich die mir so theuern Skizzen vorlegte. Erst nachdem ich mich einige Jahre hindurch mit dramatischen Arbeiten beschäftigt, wurde es mir klar, daß gerade der Umstand, daß das ursprüngliche Textbuch zu den „Drei Pintos“ eine übermäßige Ausdehnung des dramatisches Stoffes aufwies, die Möglichkeit biete, unter Beibehaltung der zu Grunde liegenden Idee, also auch der auftretenden, von Weber, wie erwähnt, musikalisch ausreichend gekennzeichneten Lustspiel-Charaktere, den dramatischen Vorwurf auf Grund der vorhandenen Exposition in kurzen Zügen zum Abschluß zu bringen[.] Da kein Zweifel obwalten konnte, daß die von Weber fertig entworfenen Nummern zu den „Drei Pintos“ in ihrer Eigenartigkeit und Charakterfülle, den ton- und stilangebenden Kern der Musik zu bilden hatten, so mußte der Künstler gefunden werden, der im Hinblicke auf einen möglichen, ja wahrscheinlichen Mißerfolg den Muth hatte, die Hand an den in den krausen Tiefen dieser wirren Entwürfe verborgenen Schatz zu legen, und der die Gabe besaß, ihn mit eigenem Klange in des Meisters Weise der Welt zu offenbaren und – lieb zu machen.

War es eine glückliche Fügung, welche Gustav Mahler diesem Amte zuführte, so war es hohes künstlerisches Anpassungs-Vermögen und wahrhaft begeisterte Hingebung, welche ihn zu demselben befähigte. Nachdem er in still-beschaulichen Stunden eines Sommer-Urlaubes (1887) den Geist belauscht hatte, der in Weber’s zarten Entwürfen lebte, erklärte er, an die Aufgabe, die Skizzen ihres Schöpfers würdig musikalisch auszugestalten, gehen zu können. Die ersten Vorführungen der neu erstandenen Weisen ließen weder den sachverständigen noch den laienhaften Zuhörern einen Zweifel über den Erfolg dieses Vornehmens, und so wurde denn der Entschluß gefaßt, die „Drei Pintos“ der Oeffentlichkeit zu übergeben.

Im Hinblicke hierauf wurde die Idee Meyerbeer’s, anderweite Compositionen Weber’s zur Ausstattung des Werkes mit Musik herbeizuziehen, nach Maßgabe des von mir neugeschaffenen und wirksam erscheinenden Buches* wieder aufgenommen, doch von vornherein beschlossen, an der Form der Oper, die Weber selbst angenommen hatte: Dialog mit eingefügten Musik-Stücken, festzuhalten. Hierdurch wurde nicht nur erreicht, daß die fertig entworfenen „Drei Pinto“-Musikstücke ihre äußere Form und volle Geltung im Werke durchaus behielten, sondern auch, daß die aus dem ungedruckten Nachlasse Weber’s, der gerade auf dem Gebiete der heiteren, ja komischen Musik Treffliches enthielt, auszuwählenden Musikstücke in ihrem Wesen unverändert, verwendet und eingefügt werden konnten. Daß hiermit der volle Bedarf an Musik für die ganze Oper noch nicht gedeckt, auch die erforderliche Gleichartigkeit der Ausdrucksweise nicht erreicht sein konnte, ist leicht begreiflich. Einestheils blieben zwar wenige, aber doch wichtige Momente der Hand¦lung übrig, die unbedingt eines musikalischen Ausdrucks bedurften; hier konnte zum Glück damit Abhilfe geschafft werden, daß die dramatische Entwickelung der Handlung mit genau denjenigen Elementen weiter geführt wurde, die Weber in seinen Entwürfen musikalisch gestaltet hatte; anderntheils waren die einzelnen Nummern, die doch verschiedenen Ursprungs waren, in ihr richtiges musikalisches Verhältniß zu einander zu bringen, was der pietätvollen Hand Gustav Mahler’s gelingen mußte.

Sowohl mir, wie meinem treuen Mitarbeiter haben die Schwierigkeiten unserers Unternehmens von dessen Anfängen an voll vor der Seele gestanden, doch haben wir keinen Augenblick daran gezweifelt, daß eine Verpflichtung zu demselben vorlag, die sich in der außergewöhnlichen Schönheit und Bedeutung der vorhandenen Entwürfe Weber’s begründete. Bei Erfüllung dieser als solche erkannten Pflicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, nämlich nur die vorhandenen Fragmente mit dem zugehörigen Buche zu veröffentlichen, wäre eine schwere Schädigung desselben gewesen. „Das Publikum ist keine Anstalt für Pietät“, bemerkte ein geistreicher Zuhörer der ersten Vorführung des noch unvollendeten Werkes über diesen Punkt und meinte damit, daß der volle Eindruck eines abgeschlossenen, wenn auch nachträglich ergänzten Werkes allen Theilen desselben in der Ansehung des Publikums günstiger sein müsse, als der eines unfertigen und lückenhaften, wenn auch noch so schönen Bruchtheiles.

In voller Würdigung dieses Grundsatzes haben wir aus dem Fragmente die Oper „Die drei Pintos“ ausgestaltet und vollendet, und die glänzend verlaufene erste Aufführung derselben, welche in Leipzig am 20. Jan. d. J. stattfand, hat der Welt gezeigt, wieviel Neues der längst so wohl gekannte Meister ihr noch zu sagen hatte, und wie er doch in dem Neuen so ganz der liebe Alte ist.

[Originale Fußnoten]

  • *) Alle Rechte vorbehalten

Apparat

Zusammenfassung

Über Webers Opernfragment Die Drei Pintos. Carl von Weber erläuert insbesondere das Ende von Giacomo Meyerbeers Beschäftigung mit Webers Fragment und die Vervollständigung durch ihn selbst und Gustav Mahler.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung und Kommentar
Obert, Salome

Überlieferung

Textkonstitution

  • „Entwickelung“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… die Unzulänglichkeit der vorhandenen Entwürfe“Gemeint ist ein heute in der Staatstbibliothek zu Berlin aufbewahrtes Konvolut mit Materialien zu der Oper (D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 3), das Meyerbeer im Zuge seiner geplanten Ergänzungsarbeit an den Pintos erhalten hatte. Darin findet sich ein Verzeichnis der insgesamt 17 Nummern inklusive der Ouvertüre mit entsprechenden Satzbezeichnungen, Angaben der jeweiligen Tonarten und Dauer. Von diesen 17 Stücken hat Weber lediglich die Nummern eins bis sieben bzw. bis zum Beginn des zweiten Akts skizziert, häufig auf zwei Systemen, meist Singstimmen mit den wichtigsten instrumentalen Motiven und teilweise unvollständig. Die Rückgabe des Manuskripts nach der Vertragsauflösung ist durch entspechende Schriftstücke belegt.
  • „… worden: eine Abschrift der Original-Entwürfe“Vgl. eine entsprechende Bescheinigung. Über den Verbleib der Abschrift ist nichts bekannt.
  • „… wie gedruckter Werke Weber 's“Vgl. ein entsprechendes Verzeichnis.
  • „… im Geiste vor sich gegangen“Musikmanuskripte für Meyerbeers Arbeit an den Pintos lassen sich tatsächlich nicht nachweisen, in seinem Tagebuch erwähnt er im Frühjahr 1846 jedoch mehrfach konkret Arbeiten an mehreren Nummern der Oper (vgl. Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 4, S. 53ff.).
  • „… den Niederschriften so genau kannte“Benedicts Erinnerungen können in dieser Hinsicht nicht als verlässlich betrachtet werden (s. hierzu auch ein entsprechender Kommentar im Apparat zum folgenden Brief).
  • „… zu den Drei Pintos .“Die Vertragsauflösung samt Zahlung einer Konventionalstrafe durch Meyerbeer im Zusammenhang mit seinen Arbeiten an den Pintos fand wenige Wochen vor Carolines Tod statt. In einer entsprechenden Erklärung wurde Meyerbeer ausdrücklich von weiteren Verpflichtungen freigesprochen.
  • „… sind. Nach Ihrem geehrten Schreiben“Ein entsprechender Brief hat sich wohl nicht erhalten.
  • „… Als die kostbaren Entwürfe“Gemeint ist WFN 3.
  • „… neugeschaffenen und wirksam erscheinenden Buches“Zu Carl von Webers Umarbeitung des Librettos vgl. Katalog Opernschaffen, S. 141f.

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