Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“ (Teil 4 von 5)

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Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“. Von Carl von Weber.*)

IV.
Meyerbeer hatte sofort erkannt, daß eine Umgestaltung des Buches der Oper die Vorbedingung für eine Vollendung derselben sei. Nach einer Besprechung mit H. Lichtenstein und dem Director der komischen Oper zu Paris, vertraute er die Herstellung des Textbuches zwei französischen Dichtern, Blacard und St. George an * und ermittelte außerdem einen musikalischen Uebersetzer für die Gesangstexte – denn in französischer Sprache sollte des deutschesten Componisten Werk erscheinen, um seinen Erben den Genuß der damals schon gesicherten Rechte zu verschaffen, mit dem das französische Gesetz das geistige Eigenthum schützte[.] Auf den Plan, welchen Meyerbeer bei Bearbeitung des Fragments befolgen wollte, deutet folgende Stelle aus einem seiner Briefe (vom 28. Juni 1832) an Hinrich Lichtenstein, den Freund Weber’s und Berather Carolinen’s, hin: „Herzlichen Dank für die Mittheilung des Cataloges von Webers Werken. Sie kam erwünscht. Das hinterlassene Manuscript der Pintos* ist viel zu klein von Umfang und Wichtigkeit, um die Hälfte einer Oper eines solch unsterblichen Heros, wie unser herrlicher, theurer Weber ausfüllen zu können. Wir müssen also, um den Manen des großen Hingegangenen kein unwürdiges Werk ¦ zu liefern, zur glänzenden Ausstattung seines ersten Actes noch Materialien zur Verarbeitung aus seinen andern Werken hervorsuchen, sollten es auch nicht immer ganze Stücke sein; aber die Themas, wenn ich auch die Ausarbeitung lieferte, müssen im ersten Acte ganz von ihm sein. Was ich in und von seinen Werken zu diesem Zwecke brauchen kann, kann ich selbst nicht wissen*, es wird auch großentheils von der Wahl des Stoffes und der Situation abhängen. Seine dramatischen Werke sind zu weltberühmt und an allen Bühnen zu einheimisch, um davon benützen zu können. Es müßte also aus seinen nicht dramatischen Singe-Compositionen geschehen. – – Schließlich bitte ich, lassen Sie den Plan, dass wir die Weber’sche Oper vollenden, treulich als Geheimniß bewahren bis das Werk in’s Leben tritt.“

Hieraus ist zu entnehmen: Es sollte ein ganz neues Textbuch geschaffen, ferner zu den vorhandenen Entwürfen sollen, wie es an einer andern Briefstelle heißt, „zur größeren Stoffirung des ersten Actes, der ganz Weber sein muß“* anderweite Compositionen Weber’s verwendet, endlich die erforderliche Musik zu dem sich hieran schließenden dramatischen Stoffe von Meyerbeer beschafft werden.

Sir Julius Benedict ist der Meinung, daß Meyerbeer beabsichtigt habe, eine einactige Oper aus den Pinto-Fragmenten herzustellen, doch widerspricht dieser Ansicht das in den eben angeführten Briefstellen Gesagte. Vielleicht hat Meyerbeer sich später nach näherer Bekanntschaft mit den Entwürfen hierzu entschlossen, seine erste Idee war jedoch zweifellos die, den „Drei Pintos“ die Form einer „großen Oper“ zu geben, eine Idee, die sich leicht aus der musikalisch-dramatischen Richtung, welcher Meyerbeer damals folgt erklären läßt. Jedem Kenner Weber’scher Musik wird hieraus klar werden, ob es zu beklagen ist, daß nochmals die Vollendung der Oper durch Meyerbeer unterblieb.

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Das Schicksal, welches die „Drei Pintos“ bei Lebzeiten ihres Schöpfers verolgt hatte, immer hinter dessen dringenderen Arbeiten zurückstehen zu müssen, ließ auch jetzt, wo ihre Vollendung in Meyerbeer’s Händen ruhte, nicht von ihnen ab. Sie mußten erst „Robert dem Teufel“, dann den „Hugenotten“ (1836) den Vorrang einräumen und sicherlich ist dies nicht zu verwundern, wenn man sich erinnert, welche Anforderungen diese gewaltigen Werke an ihren Meister stellten, sowohl bei ihrer Schöpfung als bei ihrer Einführung in die Welt. Ferner nahmen auch kleinere Werke (so die Musikzu Struensee etc.) Meyerbeer’s Zeit und Kräfte in Anspruch, und endlich erfolgte im Jahre 1842 dessen Berufung als General-Musikdirector nach Berlin, so daß die Beschäftigung mit den „Drei Pintos“ erklärlicher Weise weiter ruhen oder doch wenigstens zurücktreten mußte. Carolina von Weber versuchte es, den Freund an sein Versprechen zu erinnern, und erhielt unterm 19. Juli 1844 folgende Antwort: – –  „Lassen Sie mich nun aber auch zu meiner Rechtfertigung — Ihnen in Erinnerung bringen, daß die große Verzögerung hauptsächlich aus meinem Wunsche entsprang, der hinterlassenen Reliquie des großen Meisters eine dessen würdige Folie durch ein besseres Textbuch als das gegenwärtige zu verschaffen und, indem ich einen französischen Dichter vermochte, sich dieser Arbeit zu unterziehen, dem Werke dadurch das Recht gleich eines für Frankreich geschaffenen zu sichern, wodurch der Familie des Verewigten ansehnliche Autor-Rechte von Frankreich hätten werden können. Durch eine Brouille des erwähnten französischen Dichters mit seinem Collaborateur ist nach unendlich langen Zögerungen der Plan, wenigstens der von diesen beiden Herren vorgeschlagene, zu Wasser geworden, und ich selbst habe in den letzten zwei Jahren Störungen aller Art, sogar für meine eigenen Werke erfahren, so daß ich mich dem des Freundes nicht mit dem Eifer, der ihm gebührte, widmen konnte und namentlich nicht eifrig genug mich um die Erhaltung eines guten neuen Textes bestrebt habe. Ich begreife daher, theure verehrte Frau, Ihre Befürchtungen für die Vollziehung meines Versprechens; allein meinerseits gestehe ich, daß ich nur mit großem Schmerz die Idee aufgeben würde, die hinterlassenen Skizzen des theuern verewigten Freundes zum vollständigen Werke zu vollenden, besonders da ich es nach so langjähriger Verzögerung durch meine Schuld, für eine heilige Ehrensache, ja für mehr, für eine heilige Pflicht halte, durch eine bestmöglichste, fleißigste Arbeit meinerseits, der hinterlassenen Reliquie des großen Verewigten ihr Recht, der Familie den größtmöglichen Gewinn zu verschaffen.“

„Es ist Ihnen wahrscheinlich bekannt, verehrte Frau, daß ich auf Befehl unseres Königs ein Festspiel in drei Acten zur Eröffnung des neuen Opernhauses componire, welches den 7. December eröffnet wird.*) In ein paar Monaten ist dieses mein Werk vollendet und ich verpflichte mich so feierlich und bindend, als Sie es selbst verlangen werden, sodann sogleich an die Vollendung der Pintos zu schreiten, und kein anderes Werk irgend einer Art zu beginnen, bis die Pintos vollständig vollendet sein werden. — Sind Ihre Herren Söhne**) nicht damit einverstanden, so theilen Sie es mir mit, verehrte Frau, und ich sende Ihnen dann die Skizzen* des Verewigten zurück. Doch leugne ich nicht, es würde mich wahrhaft und tief schmerzen.“

Carolina von Weber, der die Vollendung der Oper gerade durch den Freund ihres Gatten am Herzen lag, wollte in Folge dieser Versprechungen Meyerbeer’s die Entwürfe nicht zurückziehen und kam mit diesem überein, daß er nach Fertigstellung einer neuen Oper für Paris („der Prophet“) die „drei Pintos“ unverzüglich vollenden solle. Die erste Aufführung des „Propheten“ war für Anfang 1848 geplant, doch mußte dieselbe verschoben werden, weil ein schweres Brustleiden seiner Gattin Meyerbeer zwang sich mit dieser zu einem längeren Aufenthalte nach Italien zu begeben. Er ersuchte Theodor Hell in einem Briefe vom 15. Oktober 1847, Carolinen zu bitten, ihm unter diesen Umständen ein Jahr Aufschub für Einlösung seines Versprechens zu geben, und schreibt: „Es fällt mir doppelt schwer, die Bitte um neuen Aufschub jetzt zu thun, da ich im Laufe dieses Jahres mich ernstlich mit den Pintos beschäftigt und das Werk liebgewonnen habe. Allein die Krankheit meiner Frau und die dadurch herbeigeführte Sachlage nöthigt mich dazu. – – Ich aber halte mich für verpflichtet, falls die nochmalige Verzögerung der verehrten Frau Capellmeisterin zu unangenehm sein sollte, darauf zu verzichten, meine Frau nach Italien zu begleiten, und sollte sogar deshalb meine kranke Frau ¦ die ihr so nöthige Reise dahin aufgeben müssen, denn ich bin durchdrungen von der Heiligkeit meiner Verpflichtungen gegen Frau von Weber und würde auch die Erfüllung dieser Verpflichtung niemand Anderem überlassen, da es eine Ehrensache für mich ist.“

Im April 1849 erfolgte die erste Aufführung des „Propheten“ in Paris aber auch nach ihr wurde die Arbeit an den drei Pintos nicht gefördert. Da richtete Carolina, die ein schleichendes Leiden ihr baldiges Ende voraussehen ließ (sie starb 1852 zu Dresden), und die Ordnung der Pinto-Angelegenheit als die letzte Aufgabe ihres Lebens ansah, eine Aufforderung an Meyerbeer, seinem Versprechen nachzukommen. Diesen traf ihr Schreiben in einer Zeit schwerer und langdauernder Leiden, welche die Folgen eines Cholera-Anfalls waren*, den er sich in Boulogne zugezogen hatte und die nur eine langsame und zweifelhafte Genesung in Aussicht stellten. Er erwiderte Carolinen in einem dictirten Briefe vom 26. October 1851*. – – „Unter diesen Umständen, hochverehrte Freundin, hat der Inhalt Ihres Briefes einen ganz andern Eindruck auf mich gemacht, als hätte ich denselben in gesunden Tagen erhalten, wo ich nie und nimmermehr und um keinen Preis einem Andern hätte die Ehre überlassen mögen, die hinterlassenen Reliquien des unsterblichen Freundes zu vollenden, so schwierig und verantwortungsvoll mir auch diese Arbeit stets erschienen ist. In diesem Momente fühle ich mich sehr entmuthigt und fürchte, es möge vielleicht eine lange Zeit hingehen, ehe mein geschwächter Körper und Geist wieder im Stande sein wird, an neue musikalische Compositionen zu denken. Ich werde in den nächsten Tagen meine Rückreise nach Berlin antreten. – – – Lassen Sie mir bis dahin Zeit, theure Freundin, diesen hochwichtigen Gegenstand reiflich zu überdenken. Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich im Laufe des nächsten Monats Ihnen das Resultat meines Entschlusses von Berlin aus schreiben werde.“

Nach der eben erwähnten Rückkehr Meyerbeer’s nach Berlin ist dann auch die Pinto-Angelegenheit zu einem endgültigen Abschlusse gekommen. Anfang 1852 fand eine Zusammenkunft Meyerbeer’s mit Heinrich Lichtenstein und F. W. Jähns statt, in welcher dieselbe verhandelt und seitens Meyerbeer’s die Mittheilung gemacht, wurde er sehe sich außer Stande, seinem Versprechen nachzukommen und die „drei Pintos“ zu vervolllständigen.

(Fortsetzung folgt).

[Originale Fußnoten]

Apparat

Zusammenfassung

Über Webers Opernfragment Die Drei Pintos. Carl von Weber erläuert insbesondere die durch Giacomo Meyerbeer entstandenen Verzögerungen im Rahmen der geplanten Vervollständigung von Webers Fragment.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung und Kommentar
Obert, Salome

Überlieferung

Textkonstitution

  • „23. April 1822“unsichere Lesung

Einzelstellenerläuterung

  • „… Blacard und St. George an“Im Berliner Figaro wurde am 21. Juli 1837 berichtet, Meyerbeer hätte sich für Saint-Georges und Roger de Beauvoir als Librettisten entschieden (vgl. Berliner Figaro, Jg. 7, Nr. 168, S. 672). In Meyerbeers Taschenkalender ist ein Treffen mit Roger de Beauvoir am 1. Juli 1837 „um 1/2 4“ entsprechend vermerkt (s. Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3, S. 50.).
  • „… Das hinterlassene Manuscript der Pintos“Gemeint ist ein heute in der Staatstbibliothek zu Berlin aufbewahrtes Konvolut mit Materialien zu der Oper (D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 3), das Meyerbeer im Zuge seiner geplanten Ergänzungsarbeit an den Pintos erhalten hatte. Darin findet sich ein Verzeichnis der insgesamt 17 Nummern inklusive der Ouvertüre mit entsprechenden Satzbezeichnungen, Angaben der jeweiligen Tonarten und Dauer. Von diesen 17 Stücken hat Weber lediglich die Nummern eins bis sieben bzw. bis zum Beginn des zweiten Akts skizziert, häufig auf zwei Systemen, meist Singstimmen mit den wichtigsten instrumentalen Motiven und teilweise unvollständig. Die Rückgabe des Manuskripts nach der Vertragsauflösung ist durch entspechende Schriftstücke belegt.
  • „… kann ich selbst nicht wissen“Meyerbeer erhielt schließlich 1837 einige Werke Webers, die ihm bei der Vollendung der Pintos als Vorlage dienen sollten, wie ein damit in Zusammenhang stehendes Verzeichnis belegt.
  • „… der ganz Weber sein muß“Ein Brief mit dem entsprechenden Wortlaut lässt sich nicht nachweisen.
  • 23. April 1822recte „25. April 1822“.
  • „… sende Ihnen dann die Skizzen“Gemeint ist WFN 3.
  • „… die Folgen eines Cholera-Anfalls waren“Vgl. hierzu Meyerbeer, Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 5, S. 424.
  • 26. October 1851recte „20. Oktober 1851“.
  • „… Briefe vom 26. October 1851“Zur Datierung des Briefes s. Generalvermerk.

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