Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“ (Teil 3 von 5)

Zurück

Zeige Markierungen im Text

Carl Maria v. Weber’s unvollendet hinterlassene komische Oper „Die drei Pintos“. Von Carl von Weber.*)

III.
Sir Julius Benedict schreibt (Seite 175 u. 176) seines „Weber“: „Act 1 Nr. 1 Chor der Dienerschaft Don Pantaleones. Clarissa, Laura, Pantaleone: ‚Wißt Ihr nicht, was wir hier sollen.‘ Ein kunstvolles und höchst geniales Stück. Dasselbe beginnt mit einem lebhaften geschwätzigen Chor, der die Neugier der Dienerschaft auf das ausdrückt, was über die Tochter des Hauses beschlossen werden soll. Don Pantaleones pompöses Solo mit einer eigenthümlichen und scherzhaften Wendung am Ende, welches das Selbstbewusstsein des alten Edelmannes trefflich schildert, Clarissens flagende Trauer über ihre Hoffnungslosigkeit, den Geliebten zu besitzen, die anregenden Ermuthigungen ihrer lebhaften Kammerzofe, geben ein höchst belebtes Bild“.

¦

„Nr. 2 Recitativ und Arie. Clarissa. ‚Wonnesüßes Hoffnungsträumen.‘ Die vier ersten Tacte finden sich in dem Fragment eines verlorenen Solfeggios, das Weber 1818 componirte.“

„Nr. 3 Duett. Clarissa, Gomez. ‚Ja sie wird die Fesseln brechen‘ und Terzett: Clarissa, Gomez, Laura, ‚Geschwind nur von hinnen.‘ Das graziöse und elegante Duett verdient ein besseres Loos, als so schwach ergänzt zu werden, wie es Reissiger gethan.*) Das Terzett, voll Geschäftigkeit und Leben, steht nur mit ‚zitti zitti, piano piano**) gleich.“

„Nr. 4 Duett. (Seguidilla a dos) Inez. Gaston: ‚Wir, die den Musen dienen.‘ Dieses Stück ist besonders durch die Einführung einer originalen spanischen Melodie bemerkenswerth, welche nach A. Thayers berühmten ‚Verzeichnisse der Werke Beethovens‘, auch von diesem Meister bearbeitet worden ist.“

|

„Nr. 5. Terzett. Gaston, Pinto, Ambrosio. ‚Also frisch das Werk begonnen.‘ Höchst packend und genial. Gaston’s Uebermuth beim Gelingen seiner Kriegslist wird durch brillante Violingänge geschildert, deren Wirkung durch deren plumpe Nachahmung erhöht wird. Ambrosio aber persiflirt mit angenommenem Gefühls-Ueberschwang die zärtlichen Antworten der Braut.“

„Nr. 6. Finale. Inez, Gaston, Pinto und Chor. ‚Auf das Wohlsein unserer Gäste.‘ Eine höchst geschickt entworfene und bewunderungswürdig durchgeführte Composition. Die Heiterkeit des armen Pinto, der bald in tiefe Trunkenheit versinkt, die Lustigkeit Inez’ und Gaston’s in ihren Solos und das Gespött des Chores sind wunderbar dargestellt“. Jähns bemerkt hierzu ergänzend: „Vornehmlich aber welch’ ein sprühender Humor in Solostimmen, Chor und Orchester des Finales, bei dem Trinkgelage zu dessen Ende, wo Pinto trunken fortgetragen wird; welcher Melodienzauber im Schlußgesang.“*

Act II. Nr. 7. Duett. Gaston, Ambrosio. „Nun, da sind wir.“ „Ein glänzendes, effectvolles Duett für Tenor und Baß“ Ganz ähnlich äußert sich F. W. Jähns in seinem berühmten Werke über die Pinto-Entwürfe. Er schließt seine Bemerkungen mit den Worten: „ Die hinterlassenen Entwürfe* lassen auf ein seines Schöpfers vollkommen würdiges Werk von ungewöhnlicher Bedeutung in einer Sphäre schließen, die der zu früh geschiedene Meister in so ausschließlicher Weise bis dahin zwar noch nicht betreten hatte, in der er aber der deutschen Kunst neuen unvergänglichen Ruhm durch ein Werk gebracht haben würde, in welchem sich trotz der leisgezogenen Umrisse der unvollendeten Gestalten dennoch geistvollster Humor und anmuthsvollste Grazie den Rang streitig machen*.“

Ehe wir nun zur weiteren Geschichte des Fragments zu den „drei Pintos“ übergehen, ist ein Blick auf denjenigen Theil des Gesammtwerkes erforderlich, der dem Componisten die Anregung zur Schöpfung seines Musikwerkes bieten sollte. Theodor Hell’s Dichtung liegt in ihrem vollen Umfange, jedoch nur in einer Abschrift derselben vor, welche der Dichter für Weber herstellen ließ, die letzterer also seiner Composition zu Grunde gelegt hat. Dieselbe enthält die zum Theil aber auch Aenderungen in der Anordnung des musiklischen Stoffes bewirken. Es ist anzunehmen, daß das vorliegende Textbuch* bereits eine zweite Bearbeitung ist, und man geht wohl nicht irre, wenn man die beiden Bemerkungen, die sich über Besprechungen Weber’s mit dem Dichter in des ersteren Tagebuch vorfinden, auf die erfolgten Veränderungen bezieht. Am 9. Januar 1821, also vor Beginn der Niederschriften seitens Weber’s heißt es: „Conferenz mit Winkler wegen der drei Pintos.“* In dieser Besprechung ist muthmaßlich der zweite Act umgestaltet worden. Zu den 6 Nummern, die der oben erwähnte Zettel d. h. die Uebersicht der Nummern der Oper* nach der ersten Bearbeitung, für diesen Act aufweist, sind drei Nummern hinzugekommen[.] Dies stimmt mit der Nummer, welche im neuen Textbuche das Finale erhalten hat (Nr. 14), überein, da in dem letzteren eine Arie (des Pantaleon) mit in das Finale hineingerechnet ist. Nach dieser zweiten Bearbeitung ist dann das vorliegende Textbuch entstanden. Aber auch diese genügte noch nicht völlig. Am 18. April 1821 heißt es im Tagebuche Weber’s weiter: „Conferenz mit Winkler wegen 3. Act.“ Der Erfolg dieser Besprechung war offenbar die Streichung einer großen Nummer, eines Quintetts im 3. Acte*, sodaß von den vier Nummern des Zettels nur drei für die Composition in Aussicht genommen wurden. Die fertigen „drei Pintos“ hätten also 17 Musikstücke umfaßt.

Aus der Geschichte des „Freischütz-“, des „Euryanthen-“ und des „Oberon-“Buches wissen wir, wie entscheidend Weber dort in die endgültige Gestaltung des Dramas eingegriffen hat, und daher darf es uns nicht wundern, daß er dies auch bei dem Pinto-Buche that. Und fraglos ist es zu dessen Besten, oder wenigstens Besserem gewesen, denn die von Th. Hell zuerst beabsichtigte Ausstattung des Werkes mit Musik ließ wesentliche Aufgaben, die in Charakteristik der Personen und im Verlauf der Handlung gerade der musikalischen Gestaltung und Lösung zu geben waren, ungestellt, während durch Weber’s Eingreifen den Charaktern und den Vorgängen eines jeden Theiles der Oper zu einem erschöpfenden, musikalischen Ausdrucke verholfen werden mußte.

Trotz alledem hat Weber nicht vermocht, einem dem Drama anhaltenden Geburtsfehler zu erkennen und zu beseitigen. Derselbe liegt in dem dramatischen Gefüge des Werkes. Th. Hell hat sich mit einer solchen Gewissenhaftigkeit an die Vorgänge der von ihm dramatisirten Erzählung gehalten, daß die Gestalt desselben fast unverändert dem Theaterstücke zum Ausdrucke gekommen ist. Dasselbe reiht die Ereignisse nur in ihrer natürlichen Folge an ¦ einander, ohne Rücksicht auf örtliche Bedingungen und auf dramatische Spannung. Hieraus hat sich einerseits eine große Anzahl der so störenden Verwandlungen ergeben (der erste Act hat deren eine, der zweite deren zwei, der dritte eine), andererseits ist aber auch das Stück eines dramatischen Höhepunktes beraubt worden. Derselbe wäre von zwingender Wirkung gewesen, wird aber in dem Hell’schen Drama von einem Actschlusse durchschnitten und durch zahlreiche handlungslose Scenen gedehnt. Die Erklärung dafür, daß Weber dennoch mit dem Werke einverstanden sein konnte, lag darin, daß es in seiner letzten, von ihm selbst ja verbesserten Gestalt, eine Mannigfaltigkeit der Ausgangspunkte für musikalische Behandlung bot, die unter einer strafferen Anspannung der dramatischen Vorgänge hätte leiden müssen. Welche Umgestaltungen der mitunter namenlos läppische Gesangs-Text und der noch niedriger stehende Dialog sich hätte gefallen lassen müssen, um gerechtfertigten Ansprüchen zu genügen, das vermag nur der zu ermessen, dem diese Aufgabe zugefallen.

Fassen wir nun zusammen, worin das Fragment der „drei Pintos“ bestand, so stellt sich dasselbe folgendermaßen dar. Ein fertiges Textbuch, dessen musicalische Bearbeitung sich auf siebzehn größere und kleinere Stücke erstrecken sollte; von diesen letzteren sind die ersten sieben in ihrer Reihenfolge fast ganz fertig, aber in einer schwer verständlichen und dürften Form entworfen. Für das Drama ist also die vollständige Handlung und die Charakteristik der handelnden Personen gegeben. Zum größten Glücke ist diese auch in der musikalischen Ausgestaltung soweit gefördert, daß die Umrisse der Gestalten deutlich gezogen sind.

Endlich gibt die vorhandene Musik einen durchaus hinlänglichen Anhalt für den Ton, in welchem Weber das Werk zu halten beabsichtigte*; besonders für das Maß der Tiefe der zu schildernden Empfindungen und der Höhe der Erhebung des Humors. Hiermit scheinen im Großen und Ganzen die Ausmaße für das ganze Werk gegeben zu sein und hieraus wiederum erklärt es sich, daß der Gedanke an die Fertigstellung desselben durch eine andere Hand, als die des verstorbenen Meisters gefaßt werden konnte. In der That hat Weber’s Gattin Carolina, welcher der bewährte Rath der nächsten Freunde ihres Gatten nach dessen Tode treulich und pietätvoll zur Seite stand, schon sehr bald nach dem letzteren, muthmaßlich noch im selben Jahre (1826) die ersten Schritte in dieser Richtung gethan. Sie übergab Giacomo Meyerbeer das Fragment der „drei Pintos“ zur Fertigstellung.

Diese Maßnahme muß uns heute, wo die Verschiedenheiten in dem künstlerischen Wesen Weber’s und Meyerbeer’s so scharf in die Augen springen, verwundern. Sie wird aber verständlicher, wenn man zunächst beachtet, daß Meyerbeer einer der intimsten Jugendfreunde Weber’s war (von gemeinsamen Studien bei Abbé Vogler her), von dessen musikalischer Begabung und Leistungsfähigkeit letzterer selbst viel hält. Und wenn auch bei Weber’s Tode Meyerbeer jenen Uebergang zur italienischen Weise schon längst bewirkt hatte, zu der ihn seine geringen Erfolge auf dem deutschen Kunstgebiete veranlaßten, so waren doch seine Schöpfungen in den neuen Formen so bedeutende, daß Weber auch diesen seine Anerkennung nicht versagen konnte, wenn er sie auch grundsätzlich mißbilligte. Weber hielt Meyerbeer’s Abwendung von der deutschen Kunst nicht einmal für eine dauernde und hat selbst die Hoffnung ausgesprochen, daß dieser, „nachdem er die Geschmeidigkeit seines Talents erprobt hat, in’s deutsche Vaterland zurückkehren und auch mit fortbauen helfen wolle an dem Gebäude einer deutschen National-Oper, dessen unerschütterlichen Grund Mozart in der deutschen Oper legte.“* Hierzu kommt noch, daß Weber’s künstlerisch sicher empfindende und richtig urtheilende Wittwe Meyerbeer’s große Begabung für seine Beobachtung und verständnisvolle Auffassung fremder Wesenheiten, sowie seine Geschicklichkeit in der Handhabung geistiger und bühnenfachlicher Mittel wohl kannte und ihm daher die Fähigkeit, in Weber’s Sinne weiter zu arbeiten, zutrauen durfte. Sie konnte ja nicht ahnen, daß eine neue proteische Verwandlung Meyerbeer’s so bald bevorstand, die durch die Einwirkung Auber’sStummen von Portici“ (1826 zu Paris) ihre Richtung erhielt, sich mit seiner Rückkehr nach Paris vollzog und die schon mit der ersten Oper, die er nach der neuen Weise schuf („Robert der Teufel“, Paris 1831), so erfolgreich in ihre erste Erscheinung trat.

Zu jener Zeit hat also Meyerbeer das Pinto-Fragment in Händen gehabt und kennen gelernt, und damals hat er den Entschluß gefaßt und Weber’s Wittwe das Versprechen gegeben, die Oper zu Gunsten der Weber’schen Erben „fertig zu machen“. Alsbald wurden auch alle Vorbereitungen getroffen.

(Fortsetzung folgt).

[Originale Fußnoten]

  • *) Alle Rechte vorbehalten
  • *) C. G. Reissiger hat die Begleitung eines Satzes in diesem Duett (‚So wie Blumen‘) für Orchester (im Besitze des Verf.) und auch im Clavier-Auszuge bearbeitet; in letzterer Gestalt ist dieser Satz gedruckt in dem vom Serre’schen Schiller-Verein herausgegebenen Weber-Album[.] Die einzigen dieser gedruckten Noten aus den ‚Drei Pintos‘.
  • **) ‚Stille, stille, sachte, leise‘ in Rossini’s ‚Barbier von Sevilla‘.

Apparat

Zusammenfassung

Über Webers Opernfragment Die Drei Pintos. Carl von Weber zitiert dazu mehrfach Julius Benedict und Jähns. Außerdem verweist er auf Umarbeitungen des Librettos zu Webers Lebzeiten und Meyerbeers Arbeiten an den Pintos.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung und Kommentar
Obert, Salome

Überlieferung

Textkonstitution

  • „flagende“sic!
  • „… “Es fehlen öffnende Anführungszeichen.
  • „einem“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… wird; welcher Melodienzauber im Schlußgesang.“S. Jähns, Werke S. 422. Bei Weber fehlen schließende Anführungszeichen.
  • „… Die hinterlassenen Entwürfe“Gemeint ist das Konvolut D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 3.
  • „… Grazie den Rang streitig machen“Das Zitat stammt ursprünglich aus einem Artikel über die Pintos von 1867. Jähns zitiert ihn in seinem Werkverzeichnis von 1871, hier S. 427. Am Anfang findet sich die folgende kleine Abweichung: „hinterbliebenen“ statt „hinterlassenen“.
  • „… anzunehmen, daß das vorliegende Textbuch“Das Manuskript befindet sich heute in der Staatsbibliothek Berlin: D-B, Weberiana Cl. VII, Bd. 26.
  • „… Winkler wegen der drei Pintos.“Zu der abweichenden Transkription s. entsprechender Tagebucheintrag in der WeGA.
  • „… Uebersicht der Nummern der Oper“Gemeint ist ein Verzeichnis der insgesamt 17 Nummern inklusive der Ouvertüre mit entsprechenden Satzbezeichnungen, Angaben der jeweiligen Tonarten und Dauer, das Teil des Konvoluts D-B, Mus. ms. autogr. C. M. v. Weber WFN 3 ist. Carl von Weber erwähnte es im zweiten Teil dieses Artikels.
  • „… eines Quintetts im 3. Acte“Die entsprechende Streichung wurde im Textbuch D-B, Weberiana Cl. VII, Bd. 26 handschriftlich vorgenommen (S. 158 bis zur Mitte von S. 174) und betrifft neben dem hier erwähnten Quintett Nr. 13 die ersten fünf Szenen des dritten Akts.
  • „… das Werk zu halten beabsichtigte“Gemeint sind die laut dem Verzeichnis in WFN 3 vorgesehenen Tonarten.
  • „… in der deutschen Oper legte.“Vgl. 2. Teil von Webers Dramatisch-musikalischen Notizen. Carl von Weber nimmt einige ungekennzeichnete Auslassungen vor.

    XML

    Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
    so bitten wir um eine kurze Nachricht an bugs [@] weber-gesamtausgabe.de.