Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Mittwoch, 16. Juli 1817 (Nr. 67)

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Ey du liebenswürdiger Spizbube! Wollte dich heute überraschen mit einem Extra Brieflein, und siehe da, werde selbst gar freundlich und schön von deinem No: 70 überrascht, und kann also nur pflichtschuldigst antworten. Nun darf ich nicht mehr sticheln – – Habe auch viel zu erzählen. bin auf eine gezwungene Weise liederlich gewesen.     Nachdem ich d: 14t No. 66 an dich abgeschikt hatte und in die Probe gehen wollte, wurde selbe schnell abgesagt, weil ital: Oper von Morlachi in Pillnitz sein sollte. Das gab denn nun ein hin und herlaufen, bestellen pp und ich fuhr mit hinaus um die Capricciosa zu hören. das war alles recht gut, die Oper war lang und langweilig* pp wies aber herein wärts gehen sollte, benahm sich der allerlezte der Italiener, Mosje Decavanti, so Flegelhaft, wollte nicht zu 5 in einem Wagen fahren pp daß [ich] böse wurde, und mit Baßi fortgieng zu Schmidl uns einen eigenen Wagen holen zu laßen. ja, gehorsamer Diener, bis ½ 11 Uhr wurde herumgeschikt und doch keiner bekomen, so daß wir ohne Umstände bey Schmidls übernacht bleiben musten. Es wurden Matrazen auf die Erde gebreitet pp und die Sache gieng recht gut. früh 8 Uhr d: 15t fuhren wir auf einer Gondel herein, hatten konträren Wind, und ich kam gerade um 10 Uhr in meine Probe zurecht. da ist alles in Konfusion, denn Bergmann war so heiser geworden, daß er keinen lauten Ton von sich geben konnte. die Probe war also auch wieder vorbey. ich gieng nach Hause und fand eine Menge Briefe und darunter die Antwort von Brühl. Schikt mir die Instruktion mit was zu thun ist, sagt daß die andern KapellMster 2000 rh: haben, und beschwört mich ihm keinen Korb zu gebenT. Ich kann nicht läugnen, daß ich den Augenblik ziemlich in der Stimmung war ja zu sagen. inzwischen so etwas muß man nicht übereilen. unterdeßen hatte die Dekavantische Grobheit sehr viel Sensation gemacht, und die übrigen Italiener selbst sehr indignirt. Es kam also Baßi mich im Namen einiger auf den Abend auf einen Weinberg in Loschwitz einzuladen, und um nicht auf Alle erbittert zu scheinen sagte ich es zu, obwohl ich sehr ermüdet war, und dergl: Späße gar nicht liebe. Nun muste ich nach Tische zu Böttger gehn mit dem ich viel über meine Angelegenheit sprach. dann fraß ich einige Pillerlen und die Herren Benincasa, Miksch und Baßi holten mich ab. es sollte zu Fuße auf den Weinberg gegangen werden, wie aber Benincasa gehört hatte daß ich zugesagt hätte, holte er sogleich einen Wagen, und sie waren wirklich den ganzen Abend und heute früh hindurch bemüht mir alle Aufmerksamkeit und Achtung zu erzeigen, um mich die Dummheit und Malize ihres LandsMannes vergeßen zu machen.     ich war auch ziemlich vergnügt, Schmidl kam von Pillnitz aus, auch hin, und heute Morgen haben wir den herrlichen Weg zurük, immer Bergab, zu Fuße gemacht. um ½ 12 Uhr kamen wir an, und nun muste sich der Mensch rasiren pp und nahm sich vor gleich nach Tische an die Mukkin zu schreiben, Puntum, wer komt Mittags? Der H: v: No: 70. den ich denn auch sogleich beantworten will.     Vor allem dem Himmel sei Dank für die Beßerung der Mutter, denn ich kann mir denken wie ihr in dem kleinen Loche eingepfercht seid. Ach Muks! es kann komen, daß du dich hier auch noch sehr eng behelfen must, wenn ich nehmlich nach Berlin gehe, und hier das Jahr aushalten muß. Von Graf Vizthum habe ich auch | einen Brief bekommen, wo er mir meldet daß er erst d: 25t zurükkommt, und ich um Gotteswillen nichts entscheiden soll.     Ja, das ist schwer, mit denen Grafen, der eine hält mich, und der andre läßt mich nicht los. Ich werde und muß Morgen dem Gr. Brühl schreiben, daß ich vor der Rükkunft meines Cheffs, nichts entscheidendes sagen könnte. ich bin recht neugierig wie die Sache ausfallen wird. Manches ist seitdem zum Vortheil der Berl: geschehen. Morlachi hat von 7b an auf 8 Monate Urlaub nach Italien erhalten. also fällt mir ital: Oper und Kirchen Dienst auch auf den Hals. 2tens muß ich hier als Taxe das erste 4tel Jahr des Gehaltes also gegen 400 rh: verliehren. – – das ist hart. –

Wenn du träumst, meine geliebte Lina, so glaube nur daß ich es nicht minder thue, und in diesen Träumereyen liegt es hauptsächlich mit, daß ich bis jezt noch nicht Lust gehabt habe einen bestimten Entschluß zu faßen. aber je mehr ich mir es überlege je mehr Vortheil neigt sich nach Berlin, vorzüglich für das erste Jahr, und das ist doch auch offenbar das härteste.      In Berlin müstest du freilich das Nest einrichten helfen und so viel zu thun haben daß du kaum dem Muks ein Bußel geben könntest. Nun Wie Gott will. hätte dich gerne gleich so eingeführt wie du es errathen hast.      Glaubs wohl daß es dir knapp geht mit dem Gelde, ist bei mir eben so. Mache nur daß du dein Benefiçe gleich Anfangs Sept: bekömst*, damit du nicht noch länger etwa aufgehalten wirst, was sie gewiß probiren werden.     da hat mir wieder ein reisender Sänger die Zeit gestohlen die der Mukkin gehört, da kann ich recht ärgerlich werden, und muß mich zwingen nicht unfreundlich zu sein. – Ja ja, kannst mich nur pflegen, – will mirs auch wohl sein laßen. so wohl!! die Schwarz will ich nicht für die Oper, sondern ich will sie dem Grafen und Hellwig vorschlagen fürs Schauspiel. Wegen dem garstigen Verdacht vom Dr: möchte ich recht ernstlich mit dir zanken. Wer so etwas zu thun im Stande wäre, wäre ja ein wirklich Elender. Nein, das mag ich nicht glauben. Ein bischen Ängstlichkeit und Umständlichkeit, ja. du siehst ja daß er es in seinem eigenen Hause so macht. da würde er das wohl nicht thun. Uebrigens muß ich loben daß [Du] mir keine deiner Meynung verheimlichen willst. aber sei einmal recht ehrlich und frage dich in den Grund der Seele hinein, ob du nicht doch, vielleicht dir selbst unbewußt einen Groll im Grunde deiner Seele gegen den Dr: trägst? es ist gewiß so, und du überredest dich vergebens eines Andern. du kannst es ihm nicht so recht verzeihen, daß du ein bißel gebott hast, und dann steht er dir doch in vielem nicht hoch genug, daß du nicht auch manches an ihm allenfalls dir beßer denken könntest. Laß Dich nicht gehen in solchen Empfindungen liebe Lina. immer bemühe dich das reinste und Beste von allen Menschen zu denken. das ist so wohlthätig.     Poz Blitz da schlägt es 5 Uhr und Brieferl muß fort. das ist recht dumm, nun bald ein Weiteres. Dem Trompeter Weiß habe ich nach Töplitz geschrieben weil ich glaubte er sei jezt da. das sage ihm doch.

Gott segne dich + + + mein vielgeliebtes Leben. Ich laße der Mutter die beste Beßerung wünschen. viele Grüße an Drs. Grünb: pp Sey brav, heiter und fromm und behalte lieb, deinen dich über Alles liebenden treuen Muks Carl.

Millionen Bußen.

Editorial

Summary

berichtet über Ärger mit einem der ital. Kollegen; habe einen Brief von Brühl erhalten und sei im Moment eher geneigt, nach Berlin zu gehen; nennt Gründe, die gegen Dresden sprechen; betr. Zwist Caroline Brandts mit Philipp Jungh

Incipit

Ey Du liebenswürdiger Spitzbube! Wollte Dich heute

Responsibilities

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Shelf mark: Weberiana Cl. II A a 2, 14

    Physical Description

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • recto am oberen Briefrand von F. W. Jähns mit Tinte: “Carl Maria von Weber an seine Braut. Eigenhändig.”
    • verso am Rand kleine Rötel- und Bleistiftmarkierung (von Max Maria von Weber?)

    Provenance

    • vermutlich zu jenen 60 Weber-Briefen gehörig, die Max Maria von Weber Anfang 1854 an Friedrich Wilhelm Jähns verkaufte; vgl. Max Jähns, Friedrich Wilhelm Jähns und Max Jähns. Ein Familiengemälde für die Freunde, hg. von Karl Koetschau, Dresden 1906, S. 403

    Corresponding sources

    • Muks, S. 438–442

    Commentary

    • “… Oper war lang und langweilig”Laut Pillnitzer Hoftagebuch (Sächs. Hauptstaatsarchiv, 10006 Oberhofmarschallamt, O 05, Nr. 050, Bl. 18r) endete die Oper „½ 9 Uhr“.
    • “… Benefiçe gleich Anfangs Sept: bekömst”Das Benefiz fand am 17. September 1817 statt; vgl. den Kommentar zu Webers Brief vom 18. August 1817.

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