Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Donnerstag, 2. Oktober 1851

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Meine lieben Kinder!

Ich hatte wohl Unrecht auf einen Brief von Euch zu hoffen da die Reihe zu schreiben wohl an mir war? Aber Ihr solltet so mit mir nicht rechnen und Ihr würdet es auch nicht thun, wenn Ihr die arme Mutter Weber jetzt einmal sehen und hören könntet. – Sehen, wie sie täglich mehr abmagert und kraftlos wird, und hören wie sie Tag und Nacht von Husten und Athemlosigkeit gequelt wird. Die drey Treppen bis zu meinen Logie zu steigen ist mir oft die grösste Marter, und ein kurzer Weg reibt all meine Kräfte auf. Ja meine lieben Kinder ich fühle dass der Himmel allen Ernstens nach dem letzten Ziele hinweisst, und zu Euch sey es gesagt dass ich diesem Ziele mit freudiger Ergebung entgegen gehe, und auch gar nichts von dem Schrecken voe dem Aufhören der irdischen Laufbahn empfinde. Ich habe vielmehr das Gefühl eines recht müden Wanderers welcher sich nach Ruhe und der Wiedervereinigung mit seinen Lieben sehnt. Möge mir nur Gott die Gnade gewähren nicht durch lange, und Pflege fordernde Krankheit, den Meinigen zur Last zu fallen. Von Max und den Kindern zu scheiden wird mir wohl schwer werden, denn wer wird sie nach mir so herzlich lieben? aber auch das ist villeicht heilsam dass sie nicht durch zu viel liebevolle Sorgfalt verwöhnt von dem Leben später oft rauh berührt werden, und auch für Max wird mein Todt segenbringend sein, wenn er sich gewöhnen muss als Gatte und Vater zu sorgen zu schaffen und sich strenge Rechenschaft zu geben. Täglich zeig[t] es ja die Erfahrung dass das Meer des Lebens sich schnell wieder über dem Abgrund glättet wo ein treues Herz versank, und dass es der grösste Egoissmuss nur verlangen könnte unvergessen zu bleiben. Ich wenigstens wünsche den Meinen, und meinen Freunden, ein freudiges Andenken an mich was keinen Augenblick ihren Frohsin stöhren möge, und die Uiberzeugung dass ich sie alle herzlich liebend geschieden bin. So viel in meinen Kräften steht habe ich all meine Angelegenheiten geordnet und meinen Sohn den Uiberblick über unsere Angelegenheiten erleichtert. Gestern habe ich einen Brief an Meyerbeer abgehen lassen welcher, so Gott will auch diese quälende Sache zu Ende bringt*. Gern hätte ich auch noch die Partituren nach unserer Verabredung abgesendez* aber ich hoffte bis jetzt vergebens auf eine Nachricht von Lichtenstein. Er hat es wohl vergessen desshalb einmal anzufragen? könnt Ihr ihn nicht einmal erinnern? Gern hätte ich alles noch selbst ins Reine gebracht, denn Max würde es doch wohl am Ende nicht thun, und es lieg[t] mir viel daran die Partituren für die Zukunft erhalten zu sehen, und an einen würdigen Platz zu wissen.

Glaubt nicht meine lieben Kinder dass es hipochondrisches Gefühl ist welches mir meinen Gesundheits Zustandt als bedenklic[h] erscheinen lässt ich brauche weder das bedenkliche Gesicht des Artztes noch das meiner Freunde zu sehen um zu wissen dass ich wenig Zeit zu verlieren habe, und das ich wahrscheinlich denselben Weg wie meine gute Mutter gehe bey welcher eben so eine Beängstigung mit einem Herzschlag endete. Für so einen Todt kann man Gott nur preisen, und ich würde es von ganzer Seele thun. Ob es für Dich gut sein würde meine Ida wolltest Du, wenn das Uibel zunehmen sollte hieher komen muss ich ganz Deinen Ermessen überlassen besonderst wenn, was Max mir über Deinen Zustandt andeutete wirklich wahr wäre. Da es zu Deinen sehnlichen Wünschen gehört noch ei[n] kleines Wesen Dein zu nennen, so möge Dir denn auch der Himmel ein recht liebes kleines Mädchen schenken an dem Du für Deine alten Tage eine Freundin erziehen kannst*. Bleibt aber auch den Meinen, was Ihr uns immer waret und besonders liebt meinen Max als Bruder und Schwester.

Sprecht oft mit ihm von der alten Mutter, und sagt es ihm wie lieb ich ihn gehabt. Bittet ihn auch in meinem Namen recht viel Sorge für die Erziehung seiner Kinder zu haben und die Mädchen zu tüchtigen Gattinen und Hausfrauen heranbilden zu lassen. Doch, es hat den Anschein als ob dieser Brief der Letzte an Euch sein sollte, und soweit ist es doch wohl noch nicht. Doch wäre es, gebietet der Herr des Lebens über mich meine Kinder so glaubt mir dass ich mit Dank für Eure Liebe von Euch scheide, und bis zum letzten Hauch mit Liebe Eurer ged[e]nke grüsst die KinderCaroline v. Weber

Eben da ich jetzt meinen Brief schliessen will komt Fräulein Herman mir eine Bitte ans Herz zu legen welche mich in eine grosse Verlegenheit setzt. Das alte Fräulein und ihr noch älterer Bruder haben nehmlich einen Papagei welche[r] die einzige Freude ihres Lebens ausmacht, und dieses Thier, nachdem es schon bey der Mauser sehr krank gewesen, und nun erst anfangt wieder Federn zu bekomen, beisst sie sich alle dicht am Fleisch wieder ab, so dass er ganz nakent aussieht. Hier kann dem zärtlichen Besitzer des Vogels Niemand einen Rath wegen dieser Krankheit geben, und Hanmann[s] baten mich daher mich bey Lichtenstein einmal zu erkundigen ob in dem Zoologischen Garten nicht ein Thierartzt angestellt sey welcher dem armen Thier zu helfen vermögte. Zu jeder Vergütung sind die alten Leute gern erbötig wenn dem Thier kann geholfen werden. Ich bitte Euch daher lieben Kinder bey Lichtenstein einmal anzufragen und villeicht die Adresse des Artztes zu schreiben.

Apparat

Zusammenfassung

sehr deprimierter Brief, fühlt ihr Ende nahen, dem sie aber dennoch getrost entgegen sieht, da sie sich dann mit ihren Lieben vereint glaubt; Sie hätte gern noch die Partitur‑Angelegenheiten selbst erledigt, da sie aber nichts von Lichtenstein hört, verzögert es sich; bittet Jähns, ihn zu fragen; auch erbittet sie die Adresse eines Tierarztes, der sich mit Papageien auskennt für Freunde von ihr; an Meyerbeer hat sie auch geschrieben, um die Pintos‑Angelegenheit zu Ende zu bringen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Signatur: Mscr. Dresd. App. 2097, 147

    Quellenbeschreibung

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 147 des Konvoluts)
    • 5 S.
    • am Kopf die Notiz: „Empfangen den 2. Nov. [sic!] 51.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Brieferwähnung MJ S. 363 (ohne Datum)
    • Weberiana 27 (2017), S. 87 (Auszug)

Textkonstitution

  • „Ernstens“sic!
  • „Herman“sic!
  • „… schon bey der Mauser sehr“dreimal, unterstrichen

Einzelstellenerläuterung

  • erecte „r“.
  • „… quälende Sache zu Ende bringt“Auseinandersetzungen wegen der nicht erfolgten Komplettierung des Operntorsos Die drei Pintos durch Meyerbeer.
  • zrecte „t“.
  • „… nach unserer Verabredung abgesende z“Betrifft die beabsichtigte Schenkung der Partiturautographen zu Webers letzten drei vollendeten Opern, die Schenkungen des Freischütz nach Berlin und der Euryanthe nach Dresden erfolgte kurze Zeit später.
  • „… Tage eine Freundin erziehen kannst“Die Tochter Karoline Jähns, benannt nach Caroline von Weber, wurde am 7. Mai 1852 geboren, starb aber bereits zwei Tage später und wurde am 11. Mai auf den Friedhöfen vor dem Halleschen Tor in Berlin beerdigt; vgl. Jähns, Familiengemälde, S. 373f.

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