Friedrich Rochlitz an Friedrich Kind in Dresden
Leipzig, Donnerstag, 5. April 1827

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Ich müßte mich vor mir selber schämen, wenn ich Ihnen, liebster Freund, auf Ihren herzlichen Brief vom 17ten Jan. nicht früher aus einer andern Ursache geantwortet hätte, als aus der wahren: daß ich nicht mit leeren Händen kommen, sondern Ihnen Etwas für Ihre Zeitschrift* beylegen wollte. Zwar war indessen mein Haus ein wahres Lazareth, und ist es noch: Anfangs war meine Frau krank, dann ich; nun bekam sie einen sehr heftigen, wahrhaft lebensgefährlichen Rückfall, an welchem sie noch heute auf demselben Lager hart darniederliegt; zwar führen dergleiche Erfahrungen, außer den Übeln, die ich nicht erst anzuführen brauche, in einer Familie, die nur aus den zwey bedrängten Personen besteht, noch immerwährende Störungen herbey, indeß die gewöhnlich fortlaufenden darum auch nicht stocken: aber gleichwohl kann Keiner mit Grund der Wahrheit sagen, daß er nicht in so langer Zeit einige Stunden zwischendurch für einen Freundschaftsbrief fände, da er sie ja sogar für manche Geistesarbeit findet: darum beziehe ich mich nicht darauf, sondern nur auf das, was ich oben angeführt habe; | jenen meinen Wunsch aber auszuführen, war mir schlechterdings unmöglich. Ich wollte nämlich mit etwas Ordentlichem in Ihrer Zeit.[schrift] auftreten und darin genannt seyn: Kleinigkeiten können Sie jetzt von Hunderten erhalten. Denn sollte es Ihnen anders gehen, als verschiedenen Herausgebern ähnlicher Schriften, die mir schrieben, die Vermehrung derselben vermehre noch stärker die Lieferanten – aber freylich, von Mittelgut? Es ist dies, meines Erachtens, ein Beweiß von der Verallgemeinerung einer gewissen Summe von Kenntnissen, Fertigkeiten pp aber auch von Verflachung des, sonst schmälern u. tiefern Bettes des Stroms der Literatur – der Literatur, welche man die schöne zu nennen pflegt. Wie viel und Vielerley kann man jetzt in ihr lesen, ehe man auf Einen, wahrhaft gedachten und darum neuen Gedanken, ja auch nur auf ein wahrhaft neues Bild stößt; von Ideen, was eigentlich so heißt, gar nicht zu sprechen. So habe ich z. B., seit der ehrliche Methusalem* einen neuen, höhren Schwung nehmen wollte, nämlich seit Neujahr, einmal wieder eleg. Zeitung gelesen: was hat sie denn auf diesem Fluge gefangen? Daß sich Gott erbarme! Ich habe sie | drum, und nun wohl auf Lebenszeit, wieder aufgegeben. Und die Verkehrtheit: um nur in jedem Blatte möglichst Vielerley auszupacken, fast Jedes aufs jämmerlichste zu zerreißen, damit man recht gewohnt werde, nicht einmal mehr auf Zusammenhang zu sehen! Meine arme Historie hat der Meth. mir dadurch geradezu tod gemacht. Sie fahre hin, und es kann mir an ihr wenig gelegen seyn: aber daß man es so will – denn Müller wenigstens behauptet, man wolle es so – das ist doch erbärmlich*. Aber wir haben Besseres zu reden!

Sie verlangten von mir ein Urtheil über Webers Oberon: aber als ihr Verlangen ankam, war ein kurzes, blos den Totaleindruck bezeichnendes von mir schon abgeschickt*, und ein ganz ausführliches, das Ganze und Einzelne nach allen Seiten hin erwägendes, schon zugesagt – jenes an Böttiger zunächst für die Wittwe, die über die hiesige Aufnahme, als die erste auf dem ContinentT, ängstlich war: dieses an Härtel für die hiesige musikal. Zeitung. (Von jenem ließ dann Böttiger, ganz ohne mein Vorwissen, einen Fetzen, und noch dazu etwas verballhornt, in der allgem. Zeitung abdrucken!) Ein Drittes war mir nun nicht mehr möglich. Das, bey Härtel, womit ich so eben zu Stande bin und das sogleich gedruckt wird, sollten Sie wohl lesen, wenn nicht um meinet-, doch um des wahrhaft merkwürdigen Werks willen. |

Auf jene Stelle in der Leipz. L. Z., wo meiner in Beziehung auf Katholicismus gedacht wird*, bin ich durch Sie erst aufmerksam gemacht worden. Wozu ein Mann doch kommen kann! Seyn Sie ganz unbesorgt: es kann mir selbst im Traume nicht beykommen, in diese geist- und herzlosen, niedrigen, ekelhaften Streitigkeiten mich auch nur mit einem Federzuge mischen zu wollen. Mehr darüber einmal mündlich!

Wenn ich Ihnen über Ihre Zeitschrift nichts sage, so geschieht das aus dem einfältigen, aber hinlänglichen Grunde, weil ich sie, die ersten mir zugesandten Blätter ausgenommen, nicht gelesen habe. „Oho!“ Geduld! Ich kann das Zerstückeln nicht leiden, am wenigsten dessen, was ja erst im Ganzen Sinn bekömmt und ein Urtheil zuläßt. Darum lese ich alle die, nicht zahlreichen Zeitschriften, die ich überhaupt lese, bündel-, ohngefähr vierteljahr-weise. Die Ihrige werde ich am besten und bequemsten von Ihnen selbst in Dresden lesen können; denn bald nach der Messe mache ich mich auf*. „Und kömmt’s zur That, wird’s auch zur Rede kommen“; sagt der Tell*. Ich freue mich wie ein Kind, dann auf geraume Zeit aus gar Vielem, was hier sich an mich hängt, und hält und hält, blos weil es etwas haben will und abschrapeln, heraus zu kommen, und einmal leben zu können, wie ichs wünsche. Auch verspreche ich mir davon, und von Struve’s Anstalt*, Vortheil für meine Gesundheit, oder wenigstens die Überzeugung, die auch ’was werth ist, ihr sey nicht mehr aufzuhelfen.

Ich begrüße Sie und alle die Ihrigen von Herzen.      Ihr      Rochlitz.

Apparat

Zusammenfassung

Kind hatte ihn für seine neue Zeitschrift um einen Beitrag über die Oberon-Erstaufführung in Leipzig gebeten, er setzt ihm auseinander, dass er schon zwei unter der Feder habe und einen dritten nicht liefern könne, über die neue Zeitschrift wolle er bei seinem Besuch in Dresden mit ihm sprechen, der nach der Ostermesse geplant sei

Incipit

Ich müßte mich vor mir selber schämen

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Bartlitz, Eveline

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: 55 Ep 1640

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)

    Provenienz

    • Antiquariat J. Voerster, Stuttgart, Kat. 40 (2013), Nr. 43
    • Stargardt, Kat. 676 (11./12. Juni 2002), Nr. 304

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Eveline Bartlitz, Streiflichter auf Oberon in Leipzig und Berlin 1826/27 - zu einer Brieferwerbung der Berliner Staatsbibliothek, in: Weberiana 24 (2014), S. 7-10

Textkonstitution

  • „u. tiefern“über der Zeile hinzugefügt
  • „… “Am linken Rand Bl. 2 v quer zur Schriftrichtung notiert:

Einzelstellenerläuterung

  • „… Ihnen Etwas für Ihre Zeitschrift“Damit ist wohl die seit dem 1. Januar 1827 im Verlag der Wagnerschen Buchhandlung in Dresden erschienene Dresdner Morgen-Zeitung, hg. von Kind und Kraukling gemeint. Sie enthielt als Beilage: Dramaturgische Blätter Nr. 1–25, hg. von Ludwig Tieck. Im 2. Jahrgang änderten sich die Beilagen, Kraukling gab ab 9. Januar 1828 ein Correspondenz- und Notizenblatt zur Dresdner Morgenzeitung heraus, dessen letzte Nummer (Nr. 13) am 24. Juni 1828 erschien; Friedrich Adolf Ebert nannte seine ab 5. Januar 1828 erscheinende Beilage Dresdner Literaturblatt, von der bis zum 21. Juni 1828 25 Nummern herauskamen; Tieck änderte den Titel seiner Beilage um in: Dresdner Theaterzeitung, die – wie die Dresdner Morgen-Zeitung selbst – Ende Juni 1828 ihr Erscheinen mit Nr. 10 einstellte.
  • „… z. B., seit der ehrliche Methusalem“Müller war langjähriger Redakteur der Zeitung für die elegante Welt, begründet 1801 von Carl Spazier, nach seinem Tod von dessen Schwager August Mahlmann, fortgeführt, ab 1810 mit Müller gemeinsam.
  • „… – das ist doch erbärmlich“Rochlitz spricht damit seine Geschichte Die Mißheirath an, die in 11 Heften vom 1. bis 15. Januar 1827 in der Zeitung für die elegante Welt in Fortsetzungen abgedruckt worden war.
  • „… bezeichnendes von mir schon abgeschickt“Gemeint ist der Brief an Böttiger vom 11. Januar 1827.
  • „… Beziehung auf Katholicismus gedacht wird“Die Erwähnung seines Namens in der Leipziger Literatur-Zeitung, von der Rochlitz sich distanziert, betrifft eine ungezeichnete polemische Rezension über: Wie wir den Vorwürfen begegnen sollen, durch die man den Ruhm der evangelischen Kirchenverbesserung zu verdunkeln gesucht hat. Eine Predigt, am Reformationsfeste 1826 zu Dresden gehalten von dem Oberhofprediger Dr. Christoph Friedrich v. Ammon, Dresden, bei Hilscher, in der Nr. 309 vom 13. Dezember 1826, Sp. 2467.
  • „… Messe mache ich mich auf“Ostersonntag war 1827 am 15. April, die Frühjahrs-Messe in Leipzig fand jeweils kurz vor Ostern statt.
  • „… kommen ; sagt der Tell“Das Zitat lautet korrekt: „Ist es gethan, wird’s auch zur Rede kommen“ (Tell in Szene IV/1), vgl. Erstausgabe des Dramas Wilhelm Tell von Friedrich Schiller, Tübingen: Cotta, 1804, S. 166.
  • „… davon, und von Struve’s Anstalt“Struve hatte 1821 in der Dresdner Seevorstadt eine Trinkkuranstalt gegründet, der sehr bald weitere Orte im In- und Ausland folgten.

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