Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
München, Donnerstag, 27. Juli und Freitag, 28. Juli 1815 (Nr. 11)

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An

Mademoiselle

Carolina Brandt

Sängerin und Schauspielerin

des Ständischen Theaters

zu

Prag.

gegen Rezipiße.

Nro: 11.

Meine theure geliebte Lina!

In diesem Augenblik erhalte ich deinen Brief No: 10 vom 21t huj: mit welcher seltsamen Zweydeutigkeit sprichst du von meiner Faßung, meiner Ruhe – wie wehe thust du mir im innersten der Seele durch diese Lobsprüche, hinter die sich der bitterste Spott verbirgt.      du wirst am Ende noch lernen schreibst du – wie ich diese Festigkeit lieben; meine Ermahnungen so weh sie auch thun, geben dir doppelten Muth! nie wirst du den Augenblik vergeßen, wo ich die Faßung mit der ich meine Liebe deiner Ruhe opferte, könntest du jemals wanken, dieser Augenblik wo ich mich so ganz als Mann zeigte, würde vor deiner Seele stehen, und Du dich schämen – – – o pfuy, liebe, theure Lina, hab ich das um dich verdient? glaubst du ich wüßte nicht in welchem Geiste und Ton du dies geschrieben und gedacht – es ist nicht Recht – – bey Gott nicht. – – – –

Ich habe mich wieder etwas gesammelt, ich wäre vielleicht sonst hart geworden, und ich habe dich ja so oft durch meine Härte betrübt. ich will gerne alles tragen – schütte immer über mich deinen Schmerz deine Klagen, alle Bitterkeit aus. mit Liebe will ich es empfangen und denken es komt von meiner Lina, der ich ein schönes Jahr ihres Lebens gestohlen habe, daß ich nicht wieder ersezzen kann, also will ich doch wenigstens mit ihr tragen.      Einen giebt es doch, der mich kennt.      und so lange es geht – in Gottes Nahmen. Es kommt doch eine Zeit wo du sagen wirst, das war ein treues Herz, das Schiksal wollte daß die Liebe ihn zermalmen mußte. –

Du sprichst von deiner Ruhe und Thränenspuren sind auf dem Papiere, auch machst du mich neuerdings besorgt um deine Gesundheit.

Du fürchtest ich möchte dich überraschen? Nein, überraschende Freude geben zu können ist ein wonniges Glük, aber schmerzlich zu überraschen ist teuflisch – und das bin ich nicht – – ich bleibe hier bis zu Ende meines Urlaubs. ich habe seit Gestern die Idee zur Ausführung eines großen Werkes das viele Thätigkeit und Anstrengung erfordert, gefaßt, und das hält mich fest. nach meinem ConcertT mache ich alle AbschiedsVisiten und gehe nicht mehr aus meinem Zimmer.      ein andermal will ich dir den Plan davon mittheilen, jezt ist es mir unmöglich, da mir in diesem Augenblik und wohl für einige Tage, alle zusamenhängenden Gedanken vergangen sind. nur dir mußte ich gleich schreiben. Vielleicht hätte kann ich selbst d: 7t September noch nicht zurük. –

Da liegt das Vergißmeinnicht vor mir daß ich dir von der Reise aus schikte, und das du mir nun wieder geschikt hast. immer mit Schmerz habe ich es gesehen, aber wie verschieden ist der jezige von jenem; | verkannt, damals und jezt. aber jener Schmerz mit Hoffnung. dieser finster und ewig.      Ich freue mich herzlich daß du in meinem Brief nun Heiterkeit und Ruhe gefunden hast. Es ist gut daß du zu Liebichs ziehst. die heitere Luft wird dir gut thun.

     gute Nacht; alle Nacht rufe ich es dir zu, mit dem Gedanken an dich schlafe ich ein, erwache ich.      gute, gute Nacht. ewig Dein Carl.

Da sizze ich wie ein Träumender, möchte dir gern noch so viel sagen, und kann nicht, fühle mich so gedrükt.      Ich will mein Tagebuch nachholen, das ich dir schuldig bin, so lebst du doch in Gedanken mit mir, indem du siehst wie meine Zeit vergeht.

d: 23t hatte ich zu laufen die ConcertSachen die ich bestellt hatte wieder abzusagen. gab LectionT. war Nachtische bey Poisl wegen der neuen Arie* die er in mein Concert schreibt, und Abends H: Lindpai[n]tner als Componist, zu gefallen in der Sternenkönigin. hübsche Musik, elendes Zeug übrigens*.

d: 24t brachte ich außer der LectionT, ganz zu Hause mit arbeiten zu.

d: 25t schrieb ich an Liebich und Bayer, und schloß lezterem Briefe nach Berlin ein. schrieb auch noch an Gubiz und Schleßinger.      Abends war italienische Oper, Der Barbier v. Sevilien. wo eine Mad. Persichini debütirte und elend sang*.

d: 26t früh gearbeitet und Briefe geschrieben. Mittag zu Hause. nach Tische faßte ich die Idee, zu der Sieges Cantate der Schlacht bey Belle Alliance, und beschäftigte mich den ganzen Tag mit Entwerfung des Plans.

Den Gestrigen Tag umfaßt der Empfang deines Briefes. mit dem zugleich andere ankamen die ich heute erst gelesen habe.      Einladung nach Augsburg pp die ich jetzt nicht annehmen kann, da nach meinem Concert ich die größte Anstrengung und Eile nöthig habe, um mein Vorhaben zu vollenden. vielleicht gehe ich mit Bärmann 6 Stunden von hier aufs Land, um ganz abgeschieden leben zu können.      ich hatte mir vorgenommen endlich meine rükständige Correspondenz in Ordnung zu bringen und 8–10 Tage darauf zu verwenden, aber jezt ist das auch unmöglich.      Zudem greifft es mich doch zuweilen an wenn ich so angestrengt meinen Geist besiege und arbeiten will. es giebt dann Stunden wo ich ganz unthätig da sizzen oder liegen muß.

Heute Mittag erfahre ich erst ganz gewiß ob d: 31t mein Concert ist, da giebt es noch so viel zu thun, so viel zu berüksichtigen, daß mir die Haare gen Berg stehen wenn ich daran denke. Vor meinem Concert werde ich kaum mehr mit meinem Mukkerl ordentlich plaudern können. Den Erfolg deßelben, bringt dir aber der nächste Posttag.

Du freust dich auf Ehlers Gastrolle. beßer wie Rosenfeldt wird er dir gewiß gefallen.      Wie kannst du noch fragen wegen deinem Gage Buch, soll ich denn gar nichts mehr dir sein dürfen? | hast du mir nicht heilig versprochen in allem, Rath und Hülfe bey mir zu suchen?      Könnte ich doch nur etwas für dein Wohl thun! Meine Guittarre wird mir nun erst lieb werden, da ich weiß daß du dich manchmal mit ihr beschäftigst. wie oft werde ich sie fragen um dich – – mit Furcht und Sehnsucht sehe ich der Zeit entgegen, die mich wieder nach Prag bringt. werde ich es laßen können, soll ich es laßen, im ersten Augenblike zu dir zu fliegen? o mein Gott wie viele Fragen, Zweifel, Meinungen, bestürmen mich in dieser Hinsicht, wie schreklich ist mir der Gedanke dir nur im geringsten wehe zu thun.      schon in 1000 Arten habe ich mir den Augenblik des Wiedersehens gedacht, und doch mag ich mir ihn nur mit dir allein denken. Zeugen müßten eine ungeheure Peinlichkeit herbeyführen.      Doch warum davon schon jezt. noch nenne ich dich mein, noch darf ich dir es sagen, und der elende Mensch soll ja nie weiter denken als von Heute auf Morgen.

Lebe wohl, theure geliebte Lina. erhalte dich gesund, Gott schenke Dir Heiterkeit, und gedenke in Liebe deines dich ewig innigst liebenden Carls.

a propos wenn ich zwischen 25–30 Ducaten für die Ohrr: bekomme soll ich sie weggeben?*

Apparat

Zusammenfassung

Auseinandersetzung mit Caroline Brandt; will bis zum Ende seines Urlaubs in München bleiben; Tagebuch 23.-26. Juli (Opernbesuche); habe Briefe an mehrere Personen geschrieben; notiert unter dem 26. den Plan zu einer Sieges-Kantate („Kampf und Sieg“ WeV B.10); betr. Konzerttermin in München

Incipit

In diesem Augenblik erhalte ich deinen Brief

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 59

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • PSt.: a) R. 4. MÜNCHEN / 28 JUL 1815; b) Chargé
    • Rötelmarkierungen von Max Maria von Weber

    Provenienz

    • Weber-Familiennachlass

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bartlitz (Muks), S. 168–172 (Nr. 28)

Textkonstitution

  • „wo ich“überschrieben
  • „hätte“durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • „… Poisl wegen der neuen Arie“Laut Aufführungsbesprechung erklang eine neue Arie für Bass von Poißl, gesungen von G. Mittermayr.
  • „… hübsche Musik, elendes Zeug übrigens“Aufführung im Isartortheater; die Titelpartie gab Dem. Laurent. In Prag studierte Weber 1816 Kauers Vertonung desselben Sujets ein.
  • „… Persichini debütirte und elend sang“Aufführung im Hof- und Nationaltheater mit C. Persicchini als Rosina und A. Brizzi als Graf Almaviva.
  • „… bekomme soll ich sie weggeben?“Zum Verkauf und der Abrechnung vgl. auch die Tagebuchnotizen vom 22. Mai sowie 1., 8. und 30. September 1815.

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