Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Dresden
Dresden, Donnerstag, 6. März 1817

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Nun lieber Bruder, da ist dein Wunsch erfüllt, ich sizze hier ruhig in Dresden als Königl. Sächs. KapellMster und Direktor der Königl: deutschen Oper. Was will man mehr?      Ende 7b 1816 legte ich meine Prager Direct: nieder, und gedachte ein gut Stük Weg in die We[lt] hinein zu laufen. reiste d: 7t 8b ab nach Berlin, wo ich d 14t deinen lieben Brief aus Wisbaden [vo]m 28t 7br erhielt. Der rükständigen Arbeiten die ich Contractmäßig bis Ende Jahres 1816 zu liefern hatte, waren so viele, daß ich mich entschloß, ein paar Monate ganz still in Berlin zu leben und zu arbeiten, ja, nicht einmal ein Concert zu geben, um in keiner Hinsicht in Benuzzung meiner Zeit gestört oder gehindert zu sein*. Und so geschah es denn auch, und es war eine schöne ächt künstlerisch verlebte Epoche. im Hause eines lieben geistvollen Freundes, /: Lichtenstein :/ umgeben von einem Kreise herrlicher Menschen arbeitete ich mit Lust und Erfolg, und bereitete nebenbey alles zu meiner weiteren Reise nach Kopenhagen pp vor. vollendet habe ich da. Die Temperamente beim Verluste der Geliebten, 4 Gedichte von Gubiz. die große Sonate in As dur. eine ganze neue D moll. 6 neue Lieder*. das 3t Heft von Leyer und Schwert. 1 Divertimento für Pf: und Guittarre. Gr: Duo concert: für Clarinett und Pf: eine Rezension der Oper Undine. mehrere Volkslieder. einige Kapitel ins KünstlerlebenT. eine Arie für die Milder pp:      Eben stand ich mit einem Fuß schon im Wagen als d: 25t Xber mein Ruf hieher ankam, und ich nun schnell alle Dispositionen ändern muste, d: 13t Januar 1817 schon hier eintraf, und den 30t die deutsche Oper mit Joseph eröffnete, mit dem glänzendsten Beyfall.      Ich hätte dir troz der Maße von Geschäften doch sogleich von hieraus geschrieben, wenn nicht die ersten Tage schon beynah alles rükgängig geworden wäre. du kennst meinen Stern, 3 Tage nach meiner Ankunft wollte ich schon wieder abreisen; weil ich durch ein unglaubliches MißVerständniß dem man nicht auf die Spur kommen kann wie es entstanden ist, nicht zum Königl: KapellMstr: sondern blos zum MusikDirektor der deutschen Oper ernannt war.      ich erklärte daß das nicht dasjenige sei was man mir angetragen habe, und ich daher das Ganze für aufgehoben ansehen müste, jedoch um die gute Sache nicht durch einen Augenbliklichen Abgang zu Grunde zu richten, einige Monate als Freywilliger, die Leitung führen wollte, bis sie jemand anderen gefunden hätten. die Sache gab sich endlich, ich bin nun desto pompöser in alle meine Würden eingesezt, und man hat bei der Gelegenheit gesehen, daß ich nicht mit mir Fangeball spielen laße, und ruhig und fest meinen Weg gehe. Viel ist zu thun und viele Schwierigkeiten zu besiegen, vor der Hand ist noch gar nichts hier; kein Sänger, keine Musikalien pp kurz es muß ab ovo angefangen werden, die manchen Hinderniße ungerechnet die die Italiener, und alte Gewohnheit in den Weg legen. doch mein Intendant der Graf Vizthum, ist ein ungemein rechtlicher braver Mann, der voll Eifer für die Sache sorgt, und schon unglaublich viel zu Stande gebracht hat was sich Niemand früher hätte träumen laßen. [Ic]h schreibe in der ganzen Welt herum nach Subjecten, wenn du was Gutes weißt empfiehl es mir, ich kann alles brauchen.      Manchmal komt mir der Gedanke noch ganz kurios vor so auf LebensZeit an einem Orte zu bleiben. ich bin vor der Hand freilich nur auf ein Jahr angestellt, daß ist aber hier so durchaus Form, und folgt dann immer die Lebenslängliche Verpflichtung. Ich hoffe sie werden mich nicht wegjagen, doch wer weiß, was nie geschehen ist, könnte gerade mir paßiren, darauf muß man immer gefaßt sein.

Wenn Gott alles glüklich lenkt, so hoffe ich auch gegen den Herbst zu mir eine liebe Hausfrau heim zu führen und somit ganz ins bürgerliche Leben zu treten. Meinen Urlaub jährlich werde ich mir nicht nehmen laßen, und dann werde ich gewiß | einmal meinen alten treuen Gottfried und seine liebe Gustel besuchen. das umgekehrte wäre auch nicht übel, und du würdest dir wohl im freundlichen Dresden gefallen. ich bin nur froh daß doch endlich die Gesundheit in deinem Hause eingekehrt ist, denn deine fortwährenden Klagen hatten mich doch endlich geängstiget. die Kindleins müßen nun auch nach gerade herangewachsen sein. Ach Gott es ist eine lange Zeit daß wir uns nicht gesehen haben, und manches ist unterdeßen geschehen.      ich bin zufrieden Gott sei Dank, und habe ich erst ein ordentliches Personale beisamen so hoffe ich was leisten zu können. ich bin nun schon einmal zum organisiren auf der Welt.      Von Gänsbacher wirst du wißen daß er fortwährend in Innsbruk lebt, und die goldne Medaille erhalten hat*. der trägt sie von Rechtswegen, und mit Ehren. hat mich kindisch gefreut.      von Meyerbeer habe ich kürzlich einen Brief aus Mailand erhalten in dem er viel schreibt, aber doch nichts bestimmtes über seinen LebensPlan und nichts deutliches über seine litterarischen Arbeiten die ihn seit ein paar Jahren beschäftigen.      er hat ein paar neue Opern geschrieben in 1 Akt 1 Französisch, 1 Deutsch. das ganze Jahr 1817 ist seine Adresse Ferma in posta Venezia. dann denkt er wieder nach Paris zu gehen. ich fürchte in dem Streben sogleich mit Riesengroßen Dingen aufzutreten wird er viele Zeit verliehren, und vielleicht seinen Zwek nicht erreichen. Alles will seine Reife haben, und in der Kunst geht alles Stuffenweise und läßt sich nicht übereilen. Auch ist es mir gar nicht recht daß er so wenig in dem eigentlichen Herz der Kunst in Deutschland lebt.

Was Comp: betrifft, so habe ich nächstens in Arbeit, eine Musik zu dem Trauersp: Yngurd von Müllner für Berlin. mehrere Klaviersachen, und nun hat mir während meines Hierseins der bekante Fried: Kind, eine treffliche Oper geschrieben, an die ich mit Lust und Liebe gehen werde. Die Jägersbraut. nach der von Apel bearbeiteten Volkssage der Freyschütze. Es ist Zeit daß ich wieder einmal etwas der Art bearbeite.      Meine Silvana ist nun im Februar in Prag gegeben worden*, und zwar mit dem unmenschlichsten Beyfall. alle Stükke applaudirt, mehrere da Capo, am Ende Vivat Weber. Dieß ist mir ein schöner Lohn, weil es ganz ohne mein Zuthun geschehen ist, und somit vergillt was ich an anderen Werken gethan.      Auch hier habe vor Anfang der deutschen Oper, ein Wort ans Publikum geschrieben dem ähnlich wie in Prag, damit sie wißen was sie zu erwarten haben vor der Hand und nicht mit mir zugleich die herbeizauberung einer vollständigen Oper möglich glauben.      bei jeder neu erscheinenden Oper sezze ich das fort, und hoffe so nüzlich auf die Maße zu wirken. Gott sei Dank ich kann ruhig die Hand auf die Brust legen und sagen ich bin thätig. sehe aber auch die gute Wirkung davon mit Freuden.      Nebenbey kriegen auch die anonymen Skribler etwas Furcht vor dem Herrn da ich wie immer alles unter meinem Namen schreibe.      Nun lieber Bruder hast du wieder [einen] kleinen Abriß meines Lebens und Treibens. Sage mir nun auch bald wie es dir und den deinigen geht, und was du jezt arbeitest und gearbeitet hast. künftigen Winter wollen wir auch von deinen Meßen loslaßen, jezt habe ich in der Kirche noch nichts zu thun*.      ich grüße herzlichst deine liebe liebe Hausfrau und Kinder und Eltern.      Gott erhalte Euch Gesund und froh, und behaltet

lieb Euren ewig treuen Bruder
Weber

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über seinen Ergehen seit September 1816; berichtet über die misslichen Umstände seiner Anstellung in Dresden; teilt mit, dass er sich im Herbst mit Caroline Brandt verbinden wolle; betr. versch. Freunde (u.a. Meyerbeer); erwähnt verschiedene geplante Kompositionen, u.a. Die Jägersbraut nach einem Text von Friedrich Kind; betr. publizistische Tätigkeit

Incipit

Nun lieber Bruder, da ist der Wunsch erfüllt

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub), Frederick R. Koch Foundation

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • am oberen rechten Rand der Rectoseite Beantwortungsvermerk von Gottfried Weber: „beantw 28t Mz“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • La Mara, Musikerbriefe aus fünf Jahrhunderten. Nach den Urhandschriften erstmalig herausgegeben. Bd. 2, Leipzig 1886, S. 78–82 (nach der Abschrift in Weberiana Cl. II.B., Nr. 36, S. 774–778)
    • Bollert/Lemke 1972, S. 78–79

    Einzelstellenerläuterung

    • „… gestört oder gehindert zu sein“Weber gab im Herbst 1816 zwar kein eigenes Konzert in Berlin, beteiligte sich aber am 7. und 20. November an fremden KonzertenT.
    • „… moll . 6 neue Lieder“Die Zahl von sechs Liedern ergibt sich nur, wenn man die bereits zuvor separat erwähnten vier Lieder aus dem Zyklus Die Temperamente beim Verluste der Geliebten mitzählt.
    • „… die goldne Medaille erhalten hat“Zur Verleihung der großen Civil-Ehrenmedaille an Gänsbacher Ende 1816 vgl. den Kommentar zu Webers Brief vom 10. März 1817.
    • „… Februar in Prag gegeben worden“Premiere am 2. Februar 1817.
    • „… Kirche noch nichts zu thun“Webers Tätigkeit in der Dresdner Hofkirche im Rahmen seiner dienstlichen Verpflichtungen als Hofkapellmeister begann am 27. September 1817 (vgl. Tagebuch).

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