Aufführungsbesprechung Frankfurt: „Silvana“ von C. M. von Weber am 16. September 1810

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Silvana“ von Carl Maria von Weber am 16. September 1810 in Frankfurt a. M.

Frankfurt am Main, 19 Sept.

Die diesjährige Herbstmesse hat uns mit einer höchst erfreulichen theatralischen Neuigkeit beschenkt. Es ist dieses die Oper Silvana von Hiemer, in Musik gesetzt von Karl Maria von Weber, welche am 16 Sept. zum Erstenmale auf der hiesigen Bühne dargestellt ward. – Der Herr von Weber ist zwar dem Publikum schon lange, sowol als ausübender Künstler (durch sein vortreffliches Klavierspiel), wie auch als Komponist (durch seine Symphonien, Klaviersachen und Gesangstücke) auf eine sehr rühmliche Weise bekannt, und man versprach sich daher schon sehr viel Gutes von seiner neuen Oper. Allein Hr. von Weber hat unsere gerechten Erwartungen bey weitem noch übertroffen, denn er hat uns in dieser Silvana ein Meisterwerk geliefert, deren die deutsche Bühne wenige besitzt. – Originalität der Gedanken und Formen, ohne jedoch im mindesten bizarr zu werden; höchst frappante Wirkungen durch Blaseinstrumente, die indeß niemals den Gesang chargiren; ungemein zarte und liebliche Melodien, die demungeachtet nie ins Triviale verfallen; kurz, Kraft und ¦ Anmuth, Würde und Liebreiz, Deklamation und Gesang; dieses sind die Schönheiten, deren sich die Oper in musikalischer Hinsicht zu erfreuen hat. – Wenn man nun noch bedenkt, daß Hr. von Weber eine bedeutende Kenntniß der Scene mit einer rein ästhetischen Ansicht derselben verbindet, daß er folglich Charaktere und Situation vor allem berücksichtiget, und seine obgedachten mnsikalischen Vorzüge nur dazu anwendet, das innere Leben jener durch ein lebhaftes Kolorit zu erhellen, und dem Gemüthe des Hörers dadurch ansprechender zu machen; so muß man von der Vortrefflichkeit einer Oper überzeugt seyn, deren Komponist so viele seltene Eigenschaften in sich vereinigt. – Die Philosophen und Aesthetiker unter den Musikern werden leider immer seltener. Gewöhnlich sind diese nur von einer musikalischen Ansicht geleitet, und daher erliegt auch meistentheils die poetische Idee unter der musikalischen Form. – Um so schätzbarer muß uns also Hr. von Weber erscheinen, der stets den geistigen Begriff mit dem Stoffe so innig zu verschmelzen weiß, daß beyde sich zu einem wohlgeordneten Ganzen einen, und der Beschauer sie mit Klarheit aufzufassen vermag. – Doppelte Verehrung daher unserm Komponisten, denn schon nach Lessings Ausspruch* ist der denkende Künstler noch eins weso viel werth. – Man kann indeß auf der andern Seite nicht läugnen, daß der Komponist dem Dichter vielen Dank schuldig sey, der ihm (fast mit Aufopferung seiner selbst) eine Menge der schönsten musikalischen Situationen und Charaktere aufstellte, und diese auf eine höchst sinnreiche Weise zu motiviren wußte, ohne die Klarheit der Anlage dadurch im mindesten zu beeinträchtigen, der man es beym ersten Anblicke gar nicht zutrauen sollte, daß sie so auszuarbeiten wäre. Vor allem, wie fließend und voll Numerus ist seine Versifikation. – Die Luftfahrt der Mad. Blanchard,* die an demselben Tage statt fand, und welche diese Dame bis zum Anfange des Theaters verschob, war Schuld, wenn ein großer Theil des Publikum die Dichtung nicht ganz faßte. Die meisten der Zuhörer kamen erst zum Ende des ersten Akts. Daher die vielen Klagen über Mangel an Verständlichkeit und Zusammenhang, wie auch über manche nicht genug motivirt scheinende Scene. – Auch die Musik hatte anfangs von diesem Ereignisse zu leiden. Die Neugier und Unruhe über das bevorstehende Schicksal der Aeronautinn raubten dem Zuhörer die Unbefangenheit und Ruhe, die nothwendiger Weise dazu gehören, um ein ächtes Kunstprodukt zu würdigen. Denn wo, wie hier, der Künstler eins ist mit seinem Werke, da muß es auch der Beschauer werden, um es in sich aufnehmen zu können. – Doch Webers genialische Akorde drangen trotz aller Schwierigkeiten in die Herzen der Hörer, und erwärmten sie nach und nach bis zur Begeisterung, die sich am Schlusse des Stückes durch ein jauchzendes Hervorrufen des Komponisten und der Dlle. Brand äußerte, welche letztere die Silvana auf eine sehr ausgezeichnete Weise dargestellt hatte. – Der Komponist, dem wahrscheinlich das beseligende Bewußtseyn genügte, das Publikum fast wider seinen Willen, blos durch den innern Gehalt der Musik, zur Aufmerksamkeit und Bewunderung hingerissen zu haben, zog sich bescheiden zurück, und erschien nicht, sondern überließ der Dlle. Brand allein den Glanz des Abends, die auch wirklich hervorkam, und mit Anstand und gewinnenden Worten dankte. – Das Orchester bewährte seinen alten Ruf und spielte vortrefflich. Nicht so ganz die Schauspieler, die ebenfalls etwas von den Ereignissen des Tages befangen schienen. – Man erwartet mit Ungedult die zweyte Vorstellung,* in der wir noch einige neue Gesangstücke hören werden, die man in der ersten Vorstellung weggelassen hat;* eine Zeitersparniß, welche durch den späten Anfang des Theaters (wegen der Luftfahrt) damals nothwendig wurde.

Apparat

Generalvermerk

Zuschreibung/Kommentar: In einem Brief vom 9. Oktober 1810 an Gänsbacher forderte C. M. v. Weber ihn auf: sollten Sie etwas darüber im Morgenblatte pp finden, so sorgen Sie doch dafür daß auch in irgend [eine] Zeitschrift in Ihrer Nähe ein Auszug davon komme. Weber hatte die Kritik zu diesem Zeitpunkt offenbar noch nicht im Morgenblatt gelesen, wußte aber bereits, daß sie erscheinen und positiv ausfallen würde, was nur bei einem Autor aus dem Kreis des Harmonischen Vereins gewährleistet war. Einen Hinweis auf Meyerbeers Autorschaft gibt ein Brief von Amalia Beer an ihren Sohn vom 9. November 1810, aufgrund dessen bereits Becker die Kritik Meyerbeer zugeschrieben hat; vgl. Becker (Meyerbeer), Bd. 1, S. 73–74 und S. 79: Für heute weiß ich weiter […] nichts neues, außer daß in die Berliner zeitung die Opera „Silvana“ gefordert wird, wahrscheinlich hat die schöne recension in Morgenblat daran schuld ob Du mir zwar nichts davon geschrieben hast, so konte ich doch merken daß sie von Meyer Beer ist, indem der 19jährige Eifer hervorleuchtet, und ich zugleich wahrnahm, daß das Gefühl für Freundschaft bei dem Sohn eben ein solchen großen Platz behauptet, als es auch bei der Mutter der Fall ist […]. Ueber die recension mache ich Dir mein Kompliment, denn sie wahr sehr schön geschrieben. Daß im Redaktionsexemplar des Morgenblatts kein Honorarempfänger für diese Besprechung genannt ist, könnte damit zusammenhängen, daß C. M. v. Weber die Kritik möglicherweise selbst an Reinbeck übersandt hatte (vgl. TB, 23. September 1810) und so die Cottasche Praxis, Eigenlob der Einsender zwar zu veröffentlichen, nicht jedoch zu honorieren, zum Tragen kam. Daß Meyerbeer und nicht etwa G. Weber oder Dusch die Kritik verfaßt hat, geht zudem aus C. M. v. Webers Brief vom 23. Oktober 1810 an G. Weber hervor, in dem er auch die Besprechung der zweiten Vorstellung durch Meyerbeer (1810-V-18) erwähnt: hast du die Aufsäze im Morgenblatte über die Silvana gelesen? wie wäre es wenn du einen Auszug davon in die Elegante Zeitung schiktest.

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Ran Mo

Überlieferung

  • Textzeuge: Morgenblatt für gebildete Stände, Jg. 4, Nr. 237 (3. Oktober 1810), S. 948

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