Carl Maria von Weber an Gottfried Weber in Mannheim
München, Mittwoch, 3. Juli 1811

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Endlich nach beynah einem Monate Stillschweigen wieder ein paar Zeilen von euch. das beyli die Beylage* habe ich spedirt, und ersuche dich auch gegenwärtige an Ihre Behörde langen zu laßen.      Um recht ordentlich zu antworten werd ich erzählen was ich unterdeßen that.      d: 9t Juny wurde der Minnesinger von Kozebue* gegeben mit meinen 4 Guittarre Liedchens wovon besonders das lezte so gefiel daß es Da Capo gerufen wurde. d: 11t war Abu Hassan zum 2t male*. d: 13t gab H: Kauffmann auf seinem Harmonichord, Concert* worin Bärmann mein neustes Clar: Concert aus F moll, C: dur. F: dur. himmlisch spielte, und das außerordentlich gefiel. wenig gefiel das Harmonichord. bis zu lezt wo er das Adagio und Rondo mit ganzem Orchester spielte das ich ihm comp: hatte, und auf welches der rauschendste Beyfall erfolgte.      Der brave Schauspieler Heigel starb, und ich machte auf seines Sohnes Bitten die Musik zu einer Todtenfeyer, die aber aus Faulheit und Nachläßigkeit des Herrn Sohnes dann nicht zur Aufführung kam. d: 23t erhielt ich [einen] Brief von Simrock worin er jammert wie gewöhnlich über die schlechten Zeiten, besonders über die lezte Leipziger Meße, und mich beschwört zu machen daß das Quartett und der 1t Ton fangezeigt würden, indem sie lange nicht so gut giengen als sie sollten. d: 25t erhielt ich deinen Brief. d: 27t wurde er expedirt.      ein kleines Liedchen von Ekschlager* habe ich comp: und werde dir es nebst anderen Sachen gelegentlich schikken.      was ich geschrieben habe folgt hiebey gedrukt ad acta*. Ich bin sehr begierig von dir zu hören wie der Samori gegeben* worden ist. wenn ich doch hätte dabey seyn können.      Frau von Flad, eine Schülerin Voglers, wird wohl jezt längst in Mannheim seyn. empfiehl mich ihr bestens. ich lebe einen ziemlich ruhigen Stiefel weg, bin in so fern zufrieden, als man zufrieden seyn muß wenn einem nicht gerade zu das Waßer am Halse steht. aber eigentlich fröhlich oder glüklich bin ich nicht. ich habe keine Seele gefunden an die ich mich mit wahrer Freundschaftlicher Wärme hätte anschließen können. ich habe noch keinen Abend so zugebracht wie wir es gewohnt waren zu thun, ich habe noch nirgends ein einziges Liedchen zu[r] Guittarre gesungen, weil ich nie so fröhlich war mich dazu getrieben zu fühlen.      So viel Sinn für Kunst man im Theater und Concerten zeigt, so wenig häuslichen MusikSinn, /: möchte ich es nennen :/ haben die Münchner. man macht keine Quartetten, nichts. seit Danzi hier ist,* haben wir vorgestern einmal ordentlich Musik gemacht,* wo ich mein Quartett gespielt habe, von Fränzel und Legrand acc:*Berger hat mir endlich einmal geschrieben, und will mit mir in die Schweiz gehen. ich glaube aber es wird damit gehen wie mit der Baadener Reise.* wenn einer von euch abkommen könnte, das wäre etwas. – – Von Gänsbacher höre ich gar nichts, auch Beer beschwert | sich über ihn.      daß du gegen den Reichsanzeiger* was fortgeschikt hast, [ist] kaum der Mühe werth. zu dein[en] SingQuart: wird sich schon noch eine neue Titulatur finden. – das sempre pianissimo pp im Momento* bezieht sich ja auf die HauptTendenz des ganzen Vortrags.

cultivirt mir nur den Sendtner ordentlich.      in der Schweiz hoffe ich verschiedenes thun zu können. die Pestallozische Musik Lehre* intereßirt mich, Nägeli muß ich kennen lernen. und die Arauer Miszellen* sollen mir nicht entgehen.      die kleine Notiz über Beers Orat: in der hiesigen Polit: Zeit: hat schon wieder eine andere Zeitung aufgenommen.* es ist sehr richtig daß 2 Worte in einer polit: Z:[eitung] mehr aufsehen machen, als 2 Bogen in einer Litt:[erarischen].

Was machen denn Solomés. grüße Sie mir herzlichst, und sage der Clary daß ich Ihren Bruder noch nicht zu Gesicht bekommen hätte, und daß ich wirklich böse auf ihn sey. ich war so oft bey ihm —

Zur Abwechslung will ich dir auch erzählen, daß es mir an Liebes Geschichten auch nicht fehlt, es sind wirklich einige intereßante Bekanntschaften die ich gemacht habe, aber im Grunde langweilen sie mich doch alle, denn dieses ewige Einerley von – Böse werden, um sich wieder zu versöhnen. pp pp rührt mich nicht, inzwischen laße ich mich freundlich davon unterhalten. und denke mein Theil.      Ein einziges Haus habe ich, in dem es mir recht wohl ist, und das ist bey dem bekannten Geh: Rath Wiebeking. Seine Tochter ist meine Schülerinn*, mit vielem Genie und großem Fleiße, so daß ich recht viele Freude an ihr habeT, und die Mutter ist eine höchst liebenswürdige gebildete Frau.      Nun weißt du mein ganzes LebensRezept.

Mein Vater schreibt mir deine Frau wolle alle Augenblikke niederkommen.* ist das wahr? Frau Baas? /: hiezu denken Sie sich einen devoten HandKuß :/      der lieben Houtschen Errinnerung, von Antonie Hout ausgesprochen, meinen besten Dank, und die Versicherung daß Sie gewiß nicht öfter an mich denken als ich an Sie. Wirklich dieses Klümpchen Mannheim, trage ich wie eine Geliebte im Herzen, und keine Tages Zeit giebt es in der mich nicht fröhliche Momente an euch errinnern.     

Nun adieu lieber Bruder, laße nicht so lange auf Antwort warten, und grüße alle Bekanten von deinem dir ewig treusten
Weber.

von Reinhold in H: höre ich gar nichts. hast Du Briefe von ihm? es könnte nichts schaden ihm auch etwas vom Abu Haßan zu schikken*.

Apparat

Zusammenfassung

berichtet über Münchener Aufführungen, Korrespondenz, Vereinsangelegenheiten; Klage über Münchener Kulturleben; private Nachrichten

Incipit

Endlich nach beynah einem Monate Stillschweigen wieder ein paar

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: New Haven (US), Yale University, Beinecke Rare Book and Manuscript Library (US-NHub)

    Quellenbeschreibung

    • 1 Bl. (2 b. S. o. Adr.)
    • obere rechte Ecke mit kleinerem Papierabriß (dadurch Textverlust von einem Wort auf 1v); die Nachschrift ist offensichtlich nach dem Falten des Briefes geschrieben, sie steht im mittleren unteren Bereich von Bl. 1v
    • auf Bl. 1v mehrere Tintenflecken
    • am oberen Rand von Bl. 1r mehrere Bemerkungen in Bleistift: „München 3 Juli 1811“, „20“ (Nummerierung), „11 juli 3“; im Brief sind mit anderem Stift mehrere Worte bzw. Passagen unterstrichen: „Minnesinger“, „H: Kaufmann auf seinem Harmonichord“

    Provenienz

    • nach 1983: New York, Pierpont Morgan Library (Frederick R. Koch Foundation)

      Stargardt Kat. 630 (1983), Nr. 1005

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • Bollert/Lemke 1972, S. 35–36
    • MMW I, S. 276–278 (Teilveröffentlichung)

Textkonstitution

  • „das beylidurchgestrichen
  • „beyli“unsichere Lesung
  • fdurchgestrichen
  • „f“unsichere Lesung
  • „ist“ergänzt von den Hg.

Einzelstellenerläuterung

  • „die Beylage“Laut TB vom 25. Juni 1811 ein Circular von Meyerbeer, das Weber am 27. Juni an Gänsbacher sandte, vgl. auch w.u.; nicht ermittelt.
  • „Minnesinger von Kozebue“August von Kotzebue, Der arme Minnesänger, vgl. TB 9. Juni 1811 und Aufführungsbesprechungen München 28. Mai 1811 bis 14. Juni 1811, darunter „Abu Hassan“ von C. M. von Weber am 4. Juni 1811 und Theaterzettel zur Münchner Erstaufführung von August von Kotzebues romantischem Schauspiel in einem Aufzug Der arme Minnesänger am 9. Juni 1811, Quelle: München, Theatermuseum.
  • „Abu Hassan zum 2 t male“ Am 11. Juni wurde Abu Hassan im Anschluß an das romantische Schauspiel in 2 Aufzügen von Franz von Holbein Übereilung und Argwohn gegeben; vgl. auch TB 11. Juni 1811.
  • „Liedchen von Ekschlager“Maienblümlein (JV 117) nach einem Text von August Eckschläger, vgl. TB 26. Juni 1811. Der Text ist abgedruckt im Gesellschaftsblatt für gebildete Stände, Jg. 1, Nr. 47 (15. Juni 1811), Sp. 378.
  • „gedrukt ad acta“Welche Texte Weber beilegte, geht aus dem TB nicht hervor, vermutlich handelte es sich um Beiträge für Münchener Periodika, vgl. Aufführungsbesprechung: „Aschenbrödel“ u. Aufführungsbesprechungen: „Ginevra“ und „Der Wasserträger“.
  • „der Samori gegeben“Georg Joseph Voglers Oper Samori war am 30. Juni in Darmstadt aufgeführt worden, vgl. Brief an Gottfried Weber.
  • „seit Danzi hier ist,“Danzi traf am 14. Juni in München ein, vgl. Tagebuch.
  • „vorgestern einmal ordentlich Musik gemacht,“Vgl. Tagebuch 1. Juli 1811.
  • „mein Quartett gespielt … und Legrand acc:“Webers Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello B-Dur JV 76. Ferdinand Fränzl übernahm den Violinpart, ob Peter Legrand die Bratschen- und Franz Danzi die Cellopartie übernahm (oder umgekehrt) ist im Tagebuch nicht vermerkt.
  • „mit der Baadener Reise.“Weber hatte sich vom 20. Juli bis 2. August in Baden-Baden aufgehalten; von einer geplanten Mitreise Bergers ist in den Briefen und im TB nichts erwähnt.
  • „gegen den Reichsanzeiger“Als Antwort auf die kurze Notiz im Allgemeinen Anzeiger der Deutschen, Nr. 136 (22. Mai 1811), Sp. 1516 verfaßte Gottfried Weber eine Besprechung der Voglerschen Bach-Verbesserungen, die dann in Nr. 183 (12. Juli 1811), Sp. 2025–2027 erschien (vgl. Zwölf Choräle von Johann Sebastian Bach, umgearbeitet von Georg Joseph Vogler (II)); vgl. auch Brief an Gottfried Weber.
  • „sempre pianissimo pp im Momento“In dem bei Gombart erschienenen Erstdruck des Momento capricioso (WeV S.4, PN 533) ist zu Anfang über dem System notiert: Sempre pianissimo e legermente Staccato.
  • „Pestallozische Musik Lehre“Heinrich Pestalozzi, Wie Gertrud ihre Kinder lehrt, 1801; Pestalozzis Grundsätze wurden von Hans Georg Nägeli aufgegriffen und in mehreren Büchern dargestellt, u. a. Die Gesangsbildungslehre nach Pestalozzischen Grundsätzen, pädagogisch begründet von M. T. Pfeiffer, methodisch bearbeitet von H. G. Nägeli, Zürich 1810. Eine ungezeichnete Rezension von Nägelis Werk erschien zur selben Zeit in: AMZ, Jg. 13, Nr. 28 (10. Juli 1811), Sp. 465–475 und Nr. 29 (17. Juli 1811), Sp. 481–486.
  • „Arauer Miszellen“Miscellen der neuesten Weltkunde, hg. von Heinrich Zschokke [Aarau 1807ff.].
  • „eine andere Zeitung aufgenommen.“Das Bayerische Regierungsblatt; Angabe noch nicht ermittelt.
  • „Seine Tochter ist meine Schülerinn“Fanny Wiebeking; nachdem Weber die Familie am 16. März kennengelernt hatte, ist im TB vom 18. März bereits eine Lektion für Fanny erwähnt.
  • „deine Frau wolle alle Augenblikke niederkommen.“Auguste Weber gebar erst am 17. Februar 1812 den zweiten Sohn Alexander.
  • „etwas vom Abu Haßan zu schikken“Der Ankündigung des Abu Hassan in den Privilegirten gemeinnützigen Unterhaltungs-Blättern, Jg. 6, Nr. 26 (18. Mai 1811), Sp. 207 folgte keine weitere Erwähnung der Münchner Aufführung.

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