Aufführungsbesprechung Dresden: „Oberon“ von Carl Maria von Weber am 24. Februar 1828

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Ueber die Aufführung des Weber’schen Oberon in Dresden.

Gestern ist die vierte Vorstellung des Weber’schen „Oberon“ auf unserer Bühne vorübergegangen. Wenigstens noch vier Vorstellungen würden dazu gehören, um Alle, die sich bei der Casse meldeten, zu befriedigen. Denn die jammervolle Engheit unsers Theaters, das einst in den glänzenden Zeiten der Auguste nur als eine Nothhülfe und Anhängsel zum großen Opernsaal erbaut wurde, faßt nur wenig Zuschauer. Wenn nur die Schaulust sich zu diesem Schauspiel so gewaltig drängte, so möchte das an sich noch kein Beweis für die innere Vortrefflichkeit des Stücks und und der musikalischen Leistung sein. Denn hat nicht jede Zauber- und Feenoper mit Allem, was das Auge fesselt und blendet, für die Menge einen unwiderstehlichen Reiz? Und hier ist das Möglichste in Aufputz und Scenerei geschehen. Die erste Aufführung war eigentlich zum Huldigungsfest unsers geliebten Königs Anton bestimmt. Allein, die Bescheidenheit des Monarchen bestimmte die erste Aufführung zum Benefiz der zwei von Maria v. Weber hinterlassenen Söhne, und es war der Wille des Monarchen, daß weder in Decoration noch Costumes etwas gespart werden solle. Das ist geschehen. Der Aufwand dafür ist von Unterrichteten auf 7000 Thaler angeschlagen worden. Es wird kaum reichen. Der wackere Decorationsmaler Arigoni (aus Breslau zu uns gekommen) hat sich durch eine Reihe von ganz neugemalten vollständigen Scenen und einzelnen Einsatzstücken (zusammen an 32 Veränderungen) aufs Neue als ein Meister in seiner Kunst bewiesen, aber auch von jungen Künstlern der hiesigen Schule (wie z. B. an Otto Wagner, der viel zur Verherrlichung der letzten und prachtvollsten Scene von allen, des Audienzsaals Karls des Großen, beitrug) thätige Beihülfe gehabt. Der Zauberpalast Oberon’s, womit das Stück sich eröffnet, der Saal des Harems des Almansor, wo Roschane waltet, so mit reicher Phantasie, letzterer auch durch die Teppichnachahmung und den allgemein herrschenden rothen Farbenglanz in vollkommener Farbenharmonie den Augen wohlthun, sind nach der schon belobten Schlußdecoration, wo es einen Wettkampf zwischen der christlichen Rit|terzeit und dem sarazenischen Orientalismus galt, höchst lobenswürdig. Wie Schade, daß wo so Vieles so verständig und kunstgerecht ausgeführt und nach den Kosten nicht gefragt wurde, in unbedeutenden Sachen man es doch schmälig fehlen ließ! Die Aussicht auf Bagdad war ganz verfehlt und von glänzenden Minarets u. s. w. nichts zu sehen. Da ist Ihre leipziger Decoration weit höher zu stellenT. Auch die Windbeschwörung in der finstern Grotte, die zur Aeolushöhle werden soll, mißglückte gänzlich, und von feurigen Masken und anderm Spuk, der hier so zweckmäßig in Leipzig sich sehen läßt, ist bei uns keine Spur. Hier liegt Alles am Arrangement des Ganzen. Da scheint der wackere Mann, auf dessen Regisseurschultern hier so viel gelegt ist, der Last allein durchaus nicht gewachsen zu sein, so unverkennbar auch übrigens sein Eifer, Allen Alles zu werden, und sein unermüdeter Fleiß, wo er nicht gehemmt wird, anderswo hervortritt*. Für die Costumes besitzt das königl. Theater einen vielgeübten und kenntnißreichen Mann an dem Hofschauspieler Heine, der auch bei dieser Gelegenheit sich allgemeinen Beifall erworben hat. Nur mit dem Feen- und Genienwesen wollte es nicht überall gelingen.

Allein, es handelt sich gar nicht blos um eitle Augenlust. Maria v. Weber hat aus seiner ihm von Kemble und Planché dictirten Aufgabe gemacht, was möglich war, und es ist in den freilich nach londner Zuschnitt nur auf ein Lustspiel mit eingelegten Singpartien berechneten Composition eine Welt voll Musik. Darüber werden schon die Kenner sprechen. Die große Probe der Vortrefflichkeit, daß man bei jeder neuen Anhörung mehr befriedigt, ja entzückt davongeht, hat sich bereits hier vollkommen bestätigt, und was bei einem Publicum, welches sonst größtentheils der italienischen Oper huldigt, da allerdings jetzt ihr Personale noch zu den ersten in Europa gehört, doppelt bemerkt zu werden verdient, der Beifall geht aus der fürstlichen Loge unmittelbar aus und ist, vielleicht schon darum, in den obern Regionen vorherrschend. Vorläufig verweisen wir die wahren Musikfreunde auf Nr. 3 des „Einheimischen“, das monatlich mit der allgelesenen „Abendzeitung“ einmal ausgegeben wird. Da hat Borromäus v. Miltitz ein wahres Kennerurtheil über die Musik und die hiesige Gestaltung dieser Oper abgegeben und auch den Ungrund des doppelten Vorwurfs, als mangele es der Composition an melodischer Anmuth und als käme zu viel Erinnerung des Meisters an seine frühern Werke darin vor, siegreich dargethan. Daß Miltitz ein competenter Richter sei, wird Niemand ableugnen. Es werden sehr gediegene Kirchencompositionen von ihm in der katholischen Hofkirche aufgeführt und, wie verlauten will, wird er auch einen aus hoher Hand ihm versprochenen Operntext bearbeiten. Er ist ein genialer Dichter im weitesten Sinne. Darum wollen wir indeß doch nicht leugnen, daß, hätte Weber gelebt, er nicht für die Aufführung seines „Oberon“ auf deutschen Bühnen Manches anders angeordnet und insbesondere die Elfenkönigin Titania auch noch bedacht haben würde. Denn erst dann – und das verdient allgemein bekannt zu werden –, als ihm Kemble und sein dienstbarer Dichter Planché bewiesen hatten, daß für eine solche Titaniasängerin am Conventgardentheater durchaus kein Rath zu schaffen sei, entschloß er sich mit großem Unmuth, die Schlußscene, die durchaus mit der Versöhnung der Herrscher im Elfenreich ihre sichtbare und hörbare Vollendung erhalten mußte, in den fränkischen Königs- und Rittersaal gewaltsam genug zu versetzen.

Die Aufführung selbst durch das herrliche königl. Orchester und die hiesigen Sänger und Sängerinnen ließ fast Nichts zu wünschen übrig. Devrient-Rezia, Babnigg-Huon, Fatime-Wächter und Scherasmin-Wächter genügten ihrer Rolle durch Gesang und Spiel (welches hier durchaus eingreifen muß und ebenso tüchtige Schauspieler als Sänger fordert) der zum Theil sehr schwierigen Aufgabe, die ihnen der Meister zu lösen gegeben hatte.

Aber auch unser Tenor Bergmann als Oberon entwickelte alle ihm noch übriggebliebene Kraft seiner einst so süßen Bruststimme, und er dürfte schwer zu ersetzen sein. Dazu hatten sich unsere vorzüglichsten Schauspieler von selbst erboten, die blos gesprochenen, auch die unbedeutenden Partien zu übernehmen und dadurch das Ganze erfreulich zu runden. So machte Devrient einen ganz grimmigen Babekan, Werdy den Kalifen, Becker den Almansor mit wahrer sultanischen Würde und Galanterie, Demoiselle Gley die Roschane, und die liebliche Fourniere einen allerliebsten Droll. Aus diesen wenigen Angaben mag sich nun abnehmen lassen, ob die lange Erwartung, die wir auf diese Vorstellung des „Oberon“ hatten*, getäuscht worden sei. Die erste Aufführung als Benefiz für die zwei Söhne des Compositeurs trug 1000 Thaler. Außerdem hatte man die Partitur mit 100 Friedrichsdor bezahlt. Der rastlos thätige Concertmeister Reissiger, der in Morlacchi’s fortdauernder Abwesenheit in Italien jetzt den ganzen Operndienst zu versehen und überdies auch den Kirchendienst, wenigstens zur Hälfte, zu besorgen hat, hat auch bei dem Einstudiren und Aufführen dieses ihm heiligen Vermächtnisses von dem ehrwürdigen Tonsetzer so viel Eifer und Geschicklichkeit bewiesen, daß ihm wenigstens die allgemeine Stimme des dankbaren Publicums den Titel des Kapellmeisters zuerkennt, da er es in That und Wirkung schon lange gewesen ist. Er arbeitet selbst an einer Oper, von welcher nicht blos seine nahen Freunde große Erwartungen hegen. Um übrigens Weber’s ganze Genialität zu ermessen, darf Niemand ungelesen lassen, was Theodor Hell (Hofrath Winkler) soeben als ersten Theil von Weber’s literarischem Nachlaß auch unter dem Titel: Tonkünstlers Leben, eine Arabeske (Dresden, Arnold, 114 S.) herausgegeben hat*. Man hat Weber einen Geistesverwandten des phantasiereichen Hoffmann in Berlin genannt. Das wird erst recht klar werden, wenn man diese Bruchstücke zu einer der geistreichsten Dichtungen voll echten Humors zu prüfen sich die Zeit genommen hat.

Apparat

Zusammenfassung

über die EA des „Oberon“ in Dresden

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Schreiter, Solveig

Überlieferung

  • Textzeuge: Blätter für literarische Unterhaltung, Jg. 1828, Nr. 80 (5. April), S. 318f.

Textkonstitution

  • „galt“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… nicht gehemmt wird, anderswo hervortritt“Möglicherweise ist Clemens Remie gemeint, lt. Tagebuch des Königl. Sächs. Hoftheaters (11. Jg. 1828 sowie 12. Jg. 1829) Regisseur des deutschen Theaters.
  • „… diese Vorstellung des Oberon hatten“Die als „Benefiz-Vorstellung für die hinterlassenen Kinder des vormaligen K. S. Kapellmeisters Karl Maria von Weber“ stattfindende Dresdner Erstaufführung des Oberon war ursprünglich für den 18. Oktober 1827 vorgesehen gewesen, wie der bereits gedruckte Theaterzettel ausweist. Wegen Krankheit Babniggs kam die Vorstellung jedoch nicht zustande und wurde mehrfach verschoben.
  • „… Arnold, 114 S.) herausgegeben hat“Vgl. Hinterlassene Schriften, Band 1.

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