Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag
Dresden, Dienstag, 3. Juni bis Freitag, 6. Juni 1817 (Nr. 54)

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An Mademoiselle

Carolina Brandt.

MitGlied des Ständischen

Theaters

zu

Prag.

Kohlmarkt No: 514.

2t Stok.

Einen schönen guten Morgen, vielgeliebte herzensmukkeliche Lina!

Ich bin Gestern so von meinem Brief verjagt worden, daß ich gleich heute noch ein 4tel Stündchen stehlen muß um mit dir zu plaudern und über meine gestrigen Abentheuer zu lachen. Auch muß ich deinen gar lieben heiteren 57iger noch vollends beantworten denn es ist mir ganz dunkel als ob ich Gestern mitten in einer Erklärung stehen geblieben wäre, und ich will sie lieber heute wiederholen, als daß mein Muks sich etwa Grillen herausstudirt. Doch, Gott sei Dank, in diesem Punkte hat ja deine Stärke nachgelaßen, und es ist also nicht mehr so viel zu fürchten.

Nun also, ja, was wollt ich sagen? also?, Puntum! Nehmlich ich weiß schon was an Muks ist, und wie ers meynt, ich weiß wohl daß er sich meist nur selbst gespielt hat, aber – es ist die höchste Zeit daß er wett komt von denen Brettern, und wartet bis ich ihn selber bitte. – – Nun! das können wir abwarten. –

für 1 oder 2 mal wenn es der König befiehlt kann ich nicht stehen, aber mehr gewiß nicht, und auch das auf eine Art, daß gewiß Niemand mehr es wagen wird darum zu ersuchen. – Uebrigens laß dich ja nicht irre an dir selbst machen, gieb dich immer so wie du bist, und wache nur über deinen Fehlern, dann wird die Wahrheit immer durch die Länge der Zeit, und die Gleichheit des Betragens siegen, und desto festere Wurzel faßen. – Puntum. Aus.      Ah, der Fleischhauer, ist ein schönes Stükk für mein Volk*. wenn die Wilhelm und Müller gehn, will ich sie doch vielleicht hier ein paar Rollen spielen laßen.     Aber du dummer Moppel, soll ich dir denn die Akten anders als obenhin erzählen? So will dirs aber doch erklären. Sieh’! bei einem ordentlichen Theater, wo die Geschäfte nicht so wie die Schweine durch einander gejagt und getrieben werden, müßen alle Vorträge, Berichte, Pläne, Entwürfe, Entscheidungen, Anordnungen, Verhandlungen kurz alle das ganze Wesen betreffende Papiere in der Zeitfolge zusammen geheftet und aufbewahrt werden. damit man sehen kann, was geschehen ist. Das neh[…] nennt man Akten.      So giebt es nun bei Uns Akten über die Kapelle, die italienische Oper, das deutsche Schauspiel, die deutsche Oper. da ich nun einen Bericht und Vorschläge zur vollständigen Organisirung der lezteren machen muste*, so war es nothwendig zu wißen was schon von Seiten der Direktion dafür geschehen, und in welchen Verhältnißen zu den übrigen Kunstanstalten in jeder Hinsicht, sie stehe, und endlich, was seine Majestät die lezten Jahre her in dieser Beziehung zu befehlen und anzuordnen geruht haben. Dahinein schlägt auch der Theaterbau, und alle Vorschläge dafür und dagegen pp […] daß muß ich nun alles lesen und in meinem Hirne die Resultate zusammenfaßen, pp. begreifst du nun daß es da einiges zu lesen gab?      Ah! ist mir ganz sauer geworden die Explikazion. Ja, in Prag giebt es freilich keine Akten, außer die Bücher die ich entworfen habeT, aber Gott weiß in welchem Zustande die jezt sind. – –

Was aber den verlangten Beweiß betrifft, so soll mir der gar nicht schwer werden, wenn du nehmlich mir erst beweisest, daß du den ordentliche Gründe annimmst und dich dadurch überzeugen läßt.     Puntum ich hab dich unendlich lieb, mehr kann der Mensch nicht thun.     Jezt muß ich in die Prob.

ade, ade, ade. Ach Scheiden das thut Weh!–

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Guten Morgen alter Hamster.

Heut ist einmal keine Probe, und da muß ich schnell davon profitiren und Briefe krazzen. Natürlich hat Muks den Vorrang, und ich muß ihm ja auch noch erzählen wie unsre Fahrt nach Pillnitz am Montag abgelaufen ist.     Nun also.     Erst wurde so viel deliberirt daß wir erst um ½ 6 Uhr fortfuhren und um 7 Uhr draußen ankamen, bis 8 Uhr aber auf den H. Grafen warten musten. H: Polledros Gesuch und Vorschlag wurde total abgeschlagen, und wir musten nun H: Schubert aufsuchen wegen einer Kantate von ihm die in die Dorfsängerin eingelegt werden soll*. der war nicht zu finden. darüber wurde es dann immer später, endlich fuhren wir fort, und der Kutscher fuhr 2 mal irre, und zwar so daß wir immer nur mit den größten Umständen den Wagen herumdrehen konnten. endlich ganz durchfroren kamen wir hungrig wie die Wölfe um 11 Uhr zurük. ja, Engerl war schon zu, und mit Noth bekamen wir bey Chiapponi noch ein Glas Punsch. Von da gehe ich hamerl, und stolpere über eine Baumwurzel und schlage wie ein Oz nach aller Länge hin, mußte aber selbst auf der Erde recht herzlich lachen über die gehäuften Unglüksfälle. – Gestern d: 3t war GeneralPr. vom Waisenhaus. den übrigen Tag gieng ich spazieren, und arbeitete dann etwas, es wollte aber nicht viel daraus werden. Gestern d: 4t abermals GeneralP:* Nachtische mit Polledro und Bassi aufs Baad gefahren wegen dem Einrichten für die italienische Oper. dann erhielt ich endlich für meine schon so lange verkaufte Silvana von H: Seconda 30 Thl. die sehr gelegen kamen*.     dann war die Vorstellung vom Waisenhaus. Gieng wirklich tadellos, und gefiel auch*. war aber leer. Ey ey.     Heute Nachtische muß ich schon wieder nach Pillnitz mit Hellwig um das Theater draußen zu besehen, da wahrscheinlich nächstens da gespielt werden wird.     Die Amberg hat nun wieder geschrieben ist aber auch vor Michäli 1818 nicht zu haben. das ist recht fatal. Ueberhaupt geht es recht langsam mit dem zusammenbringen eines ordentlichen Personales.     Die Italiener bieten auch Himmel und Hölle auf nicht auf dem Baade zu singen. sie müßen aber doch dran*. das schlimmste ist daß S. Maj: der König sie auch wahrscheinlich noch für die Auserwählten, und eigentlich ihm Angehörigen hält, und das Deutsche blos des Publikums wegen hält. Sollte also einmal unglüklicherweise ein Fall kommen, wo er dieses ausspräche, und sie dadurch über uns erhöbe, so würde das den übelsten Einfluß auf die Stimmung der Deutschen haben, und ich kann nicht läugnen daß ich selbst dieß schwerlich ertragen würde. Nun wir werden ja sehen. Bis jezt ist noch alles immer zum Besten gegangen und wird auch ferner so gehen.

Da habe ich eben deinen lieben No: 57 nacheinander durchgelesen. /: No: 58 muß nun gleich kommen :/ und mich wieder über deine gleiche ruhige heitere Stimmung gefreut. also du trinkst, badest und faulenzest? gut. aber Einnehmen? warumperl denn? fehlt dir was?     –      Nun den Thee sollst du allerdings künftig allein machen, ich werde mich nicht mehr in die Amtsgeschäfte der gnädigen Hausfrau mengeliren, aber ist er nicht gut, werde ich schön schimpfen. ich wollte du hättest Umgang mit einem recht angesehenen Hause wo du das alles so recht ordentlich sehen könntest. Nun ich werde dirs schon sagen, und du must mir allein immer eine GeneralProb vormachen.

Du bist wieder einmal recht dum!!! ich gehe nach Amerika, singt ja der Kainz im lustigen Schuster, weil ihn seine Frau so cujonirt*, also – wenn du so bist, und mich sezirst, so spiele ich die Rolle. Ich muß schließen für jezt, meine gute liebe Lina. Gott erhalte dich gesund und frisch + + +. alles Schöne an die Mutter.

Ewig dein Carl 4 Millionen Bußen.

Mein guter Muks, kaum kann ich dazu kommen den Brief zu schließen so bin ich auf einmal überrumpelt mit Arbeit. Gestern gleich nach Tische fuhr ich mit Hellwig nach Pillnitz um das Theater zu besehen, und brachte da in der herrlichen Gegend und mit Schmidls einen recht angenehmen Nachmittag zu. Die Prinzen und Prinzeßinnen* die mich sehr freundlich aufsuchten und ansprachen, erkundigten sich sämtlich sogleich nach dir, und trugen mir auf dich recht freundlich zu grüßen, besonders die verehrten Prinzeß Mariane und Therese. Abends hatte ich dann erst noch Conferenz mit dem Grafen Vizthum, und um 12 Uhr kamen wir erst wieder nach Dresden.

Schmidls und Baron Obyrn grüßen auch 1000mal. Heute bin ich denn von 6 Uhr an recht im Zeuge gewesen, weil ich eine Subscription bei der deutschen und italienischen Oper und Kapelle mache zur Feyer des 7t Juny / wo unser guter König wieder nach Dresden zurükkam :/ für die Armen im Gebürge. da gab es nun Aufsäzze und Listen in allen Sprachen zu machen, und um 11 Uhr habe ich Probe vom Geheimniß.

Gestern kaufte ich noch einige hübsche plattirte englische Bouteillen Untersäzze in die Wirthschaft, und Mittags erhielt ich deinen lieben guten Brief No: 58 den ich vielmals gebußt habe. So bist du brav, selbst wenn ich es sage daß ich dumme Streiche gemacht habe mußt du es nicht glauben. Ah, das ist schön.     Das Mittel aber die arme Jägersbraut auf 14 Tage zu verdrängen, verbitt ich unterthänigst, du genirst sie so immer.     Mit dem Einstudiren auf den Herbst ists niz, erst muß sie in Berlin gegeben, und vor allem erst, – componirt sein. sonst, laße ich sie nirgends aufführen, o! ich bin auch eigensinnig.     Mit dem Vandyk weiß ich schon was ich thue, ich laß mir von Grünbaums die 7 # geben, und die bringen das Stük mit. – so werde ich auch die Zeug Muster durch denselben Weg an Drs: schikken, und die Schwester werde ich schon herumführen. ist sie hübsch so ists desto beßer und komt einem leichter an. wenn sie dem Dr: gleicht muß sie hübsch sein, denn der Dr: ist doch ein schöner Mann. Grüße mir ja alle recht herzlich.     Ich mag wollen oder nicht ich muß schließen.     Gott behüte dich und segne dich + + + mein gutes geliebtes Leben. Freß nur brav Knödel und spiele blinde Kuh, dann wirst du gehörig fett, und du weißt daß ich das liebe.

Alles Schöne an die Mutter.      Bleib brav und heiter und behalte lieb deinen dich über alles liebenden treuen Carl.
Millionen tausend Bußen.

Apparat

Zusammenfassung

sie soll ihre Schauspielerei beenden; über Ordnung im Theaterwesen u. seine Aktenstudien wegen geplanter Verbesserungsvorschläge; über Fahrt nach und Aufenthalt in Pillnitz mit Polledro; Proben und Auff. des Waisenhauses; das Honorar für Silvana; über die Probleme mit der Organisation seines Personals; Privates; Besuch in Pillnitz mit Hellwig; über Freischütz

Incipit

Einen schönen guten Morgen, vielgeliebte herzensmukkeliche

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 99

    Quellenbeschreibung

    • 2 Bl. (4 b. S. einschl. Adr.)
    • Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber
    • von F. W. Jähns mit Tinte auf Bl. 2r oben: „(Gehört zu 54. 3 Juni. 1817.)“

Textkonstitution

  • „wenn“über der Zeile hinzugefügt
  • „So“überschrieben
  • „neh[…]“überschrieben
  • „[…]“gelöschter Text nicht lesbar
  • „den“durchgestrichen
  • „Gestern“überschrieben

Einzelstellenerläuterung

  • „… schönes Stükk für mein Volk“J. A. Gleichs Lustspiel Der Fleischhauer von Oedenburg war laut Tagebuch der deutschen Bühnen (1817, S. 343) am 30. Mai am Prager Ständetheater mit Franz Feistmantel in der Rolle des Springerl gegeben worden.
  • „… Organisirung der lezteren machen muste“Vgl. den Hinweis auf diesen Auftrag in Webers Brief an C. Brandt vom 6.–9. Mai 1817 (Briefteil vom 8. Mai).
  • „… die Dorfsängerin eingelegt werden soll“F. A. Schuberts Cantate zur Feier des Jahrestages der Rückkehr Sr. Majestät des Königs aus der Gefangenschaft; vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 24. Juni 1817.
  • „… 4 t abermals General P:“Zum Waisenhaus.
  • „… Thl. die sehr gelegen kamen“Die Partitur hatte Weber laut Tagebuch am 6. Dezember 1812 versandt. Die J. Secondasche Gesellschaft spielte die Oper sowohl in Dresden (Premiere 19. Juni 1816) als auch in Leipzig (Premiere 13. November 1816).
  • „… wirklich tadellos, und gefiel auch“Vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 23. Juni 1817.
  • „… sie müßen aber doch dran“Erste Aufführung des italienischen Hoftheaterdepartements im Theater auf dem Linckeschen Bad am 7. Juni 1817.
  • „… ihn seine Frau so cujonirt“Kainz gab in Prag den Herrn von Weller, der in der Introduktion (Nr. 1) des Singspiels singt „Nichts wird meinen Vorsatz | Je ändern können. | Ich eile nach Amerika, | Von ihr mich zu trennen.“
  • „… zu. Die Prinzen und Prinzeßinnen“Laut Pillnitzer Hoftagebuch (Sächs. Hauptstaatsarchiv, 10006 Oberhofmarschallamt, O 05, Nr. 050, Bl. 113v, 114r) hielten sich zu dieser Zeit die Prinzen Anton, Maximilian, Friedrich, Clemens und Johann sowie die Prinzessinnen Anna, Therese, Augusta, Maria, Josepha, Marianne und Amalia in Pillnitz auf.

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