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Dresden. A Jove principium! Wir haben hier, und in kurzem zweymal, in der kath. Hofkirche eine solenne Missa von des Hrn. Kapellms. C. Mar. v. Weber, Composition gehört, die bedeutendes Aufsehen gemacht und allgemeinen sehr beyfälligen Antheil erregt hat, sowol durch Originalität in der Erfindung und ganzen Ansicht mehrer Sätze, als durch Würde und Andacht im Ausdruck bey den meisten, und endlich durch Beweise von einer, gewiss nicht gewöhnlichen Kunst in Handhabung schwieriger harmonischer Formen bey der Ausarbeitung*). – – Nach Ostern wurde unser Theater mit der Oper la Testa di Bronzo oder la Capanna Solitaria, eröffnet, welche vom Dichter, Hrn. Romani, nach dem Französischen bearbeitet und in eine ernsthafte Oper verwandelt, vom Hrn. Carlo Soliva aber in Musik gesetzt worden ist. Sie wurde von der hiesigen italien. Gesellschaft am 25sten März zum erstenmale gegeben, und am 28sten März, so wie am 1sten April wiederholt. Die Musik ist in Mayland im Herbste 1816 für das Theater della Scala geschrueben. Der junge Meister studirte erst unter Asioli und Federici in Mayland, und nachher, mit anhaltendem Fleisse, deutsche Opern, die er leidenschaftlich liebt. Von dieser herrschenden Leidenschaft – die aber, wie eben Leidenschaft pflegt, statt des Urbildes, ein selbstgrschaffenes Abbild umfasst, und, statt schöner Hinneigung für jenes, gewaltsame Aufwallungen für dies darlegt – giebt er in dieser Oper den deutlichsten Beweis, wie man aus folgenden Bemerkungen sehen wird.

Die Ouverture ist ein Haufen so verwirrt durch einander geworfener Motiven, dass man das Gute vom Mittelmässigen und dieses vom Schlechten nicht unterscheiden kann; man hört ein stetes Getöse von Posaunen und grosser Trommel, welches den Zuhörer so betäubt, dass er vom Melodischen der übrigen Instrumente nichts vernimmt. Sie hat eigentlich weder Anfang noch Ende, und ist überdies dem Stücke nicht angemessen. Die Introduction beginnt in einem feyerlichen, andächtigen, zu dem Inhalte des Stücks und der Lage der Personen gar nicht passenden Style, wobey wir noch einige unangenehme Passagen ¦ übergehen, um unsere Beschreibung zu verkürzen. Die Stretta derselben hat theatr. Wirkung, jedoch passen einige chromatische Harmonien nicht zum Sinne der Worte. Es kommt uns vor, Hr. Solivia habe Mozart zu seinem Idol gewählt; wenigstens ist die Hälfte der Stretta im Style dem Septett aus D. Giovanni ähnlich: auch ahmt er Mozarts Uebergang aus Es in Des, in den Worten. che impensata novità, nach – eine Wendung, welche dieses grosse musikal. Genie mit Recht nahm, um jene Worte auszudrücken, aber nicht, wie Hr. Solivia, der mit einem blossen Semitone aus C in Des übergeht ohne allen Grund, und mithin auch ohne alle Wirkung. Das auf die Introduction folgende Duett macht so wenig Eindruck, dass es nicht der Mühe werth wäre, es zu erwähnen; vielleicht verlor es hier seine Wirkung, weil wir die beyden berühmten Bassisten, Remorini und Galli, nicht haben, die es in Mayland saugen. Im achten Auftritte hört man ein kleines Concert von Harfe, Violin, Violoncell etc. mit einem andächtigen, der Lage und den Worten: Viva, viva il nostro PrincipeNostra gloria, e nostre amor ganz zuwiderlaufenden Thema. Nie haben wir gehört, dass man dergleichen fröhliche Worte zu einem frohen Tage so andächtig und fast trüblich ausspricht. – Hr. Solivia – spricht der mayländische Corresp. dieser Zeit. im Jahre 1816, No. 45, S. 740 – hat sehr unüberlegt gehandelt, dass er so viele Reminiscenzen, vorzüglich aus den allgemein bekannten Opern, D. Giovanni und il Flauto magico, in seiner Oper aufnahm. So ist z.B. die Stretta des 1sten Finals aus D. Giovanni; die Arie des Tollo im zweyten Aufzuge: Figuratevi una festa etc. scheint gleichsam eine Copie der Arie des Leporello, Madamina, il catalogo e questo zu seyn; sie ist sogar in dem nämlichen Tone geschrieben. In der 12. Scene des nämlichen Acts hören wir einen grossen Theil der Scena dell´ Ombra im letzten Finale des D. Giovanni. Das Terzett des 5ten Auftritts zwischen Floreska, Federico und Ermano ist voll Reminiscenzen. Es fängt mit dem ¦ Duett: Ah, perdona al primo affetto aus der Oper La Clemenca di Tito an; dann hört man in den Worten: Gl’uomini che sentono amore, das Terzett der 3 Genien im 2ten Acte der Zauberflöte, vernimmt auch bey dem Eintritte des Ermano ein Stück von der Stelle, wo Tamino von den Geharnischten geführt wird. Ich will – fährt dieser Corresp. fort – eine Menge anderer, aus Mozart und anderen Meistern genommener Stellen gar nicht erwähnen."

Wir können nicht umhin, diesem strengen, aber gerechten Richter beyzupflichten; wir haben diese Compilation eben so gefunden. Da das nun so ist, so hätten wir wenigstens gewünscht, Hr. S. hätte Mozart auch im Gesange nachgeahmt. Der Chor zu Anfange des 2ten Acts, mit den Worten: Già la notte s’avvicina etc. hat gar keine musikal. Einleitung, welche auf den Einbruch der Nacht vorbereitete, und in diesem Falle hätte doch Hr. S. das Publicum auf diese Veränderung vorbereiten sollen: sonst ist dieses Musikstück mehr für das Orchester gearbeitet, entspricht aber dem Texte nicht und ist ohne Wirkung. Die Arie des Tenoristen wäre nicht übel, wenn ihr das fortwährende Moduliren und Wechseln im Rhythmus nicht zum Theil ihre Wirkung genommen hätte. Gegen das Terzett der 8ten Scene liesse sich manches einwenden: doch bleibt es schön; nur kann die auf diesen rührenden Auftritt folgende Scene Niemand befriedigen. Das Quintett, welches darauf folgt, hat, die schon erwähnte scena dell’ Ombra aus D. Giovanni abgerechnet, gar nichts Anziehendes. Die Arie der prima Donna ist ohne Lebhaftigkeit und hat nichts Schönes, als die Cabaletta, die, wie der mayländische Corresp. sagt, von der Sängerin, die sie in Mayland sang, vom Sänger Veluti entlehnt worden war, und aus welcher der Tonsetzer den Schluss seiner Arie gemacht hat. Das zweyte Finale sollte von einer recht freudigen Musik begleitet seyn: aber Hr. S. wollte oder konnte vielleicht den Inhalt des Textes nicht gehörig ausdrücken. Solche Nachlässigkeiten finden sich sehr oft in seiner Oper*). Wir beschliessen unsere Beurtheilung damit, dass wir sagen, diese Musik ist vom Anfange bis zum Ende eine ¦ Zusammenhäufung dem Ohre harter Motiven, und Jedermann weiss, dass diese und ein immerwährendes Moduliren in fremdartigen Tönen, eine wirkungslose Harmonie und rauhe Cantilena, dieses beydes aber Monotonie, und Monotonie, wenn auch mit einzelnen Funken von Geist durchleuchtet, wenig Wirkung hervorbringt. Das bewährete sich denn auch am hiesigen Publicum, auf welches diese Oper keinen grossen Eindruck machte. Damit wollen wir aber dem jungen Tonsetzer Talent keineswegs absprechen; vielmehr zeigt manche gelungene und eigenthümliche Einzelheit, dass er bey fortgesetztem ernstlichem Studium und bey mehr Uebung einst einer der guten Meister werden könne. Die Dichtung ist nicht übel.

Nur noch ein paar Worte über die Aufführung! Hr. Miecksch, als Fürst Adolfo war ziemlich gut. Mad. Sandrini, als Floreska, führte den Charakter mit vielem Gefühle durch; spielte auch in Ritterkleidung, um den mit ihr im Geheim verbundenen Gemal zu vertheidigen, kräftig und lebhaft; und sang mit vielem Ausdrucke die Arie des 2ten Aufzugs, so wie auch mit melodischer Stimme die schöne, in diesem Stücke befindliche, nach Art eines Rondos abgefasste Cabaletta, welche eine herrliche Wirkung that, besonders da sie ihrer Stimme angemessen liegt. Hr. Tibaldi, als Federico, zeichnete sich besonders im Vortrag seiner Arie aus. Dasselbe gilt vom Hrn. Benincassa, als Tollo; das Publicum hörte den braven Komiker mit vielem Vergnügen. Von Hrn. Decavanti, als Riccardo, sprechen wir weiter nicht. Es stehen einmal sechs Busten auf der Bühne, und Hr. D. dabey: da nannte man ihn die siebende: aber nach einer Weile fing er doch an zu sprechen, wenn er auch, wie gewöhnlich, eben nichts that. – Das Orchester sparte weder Aufmerksamkeit, noch Genauigkeit; die Choristen zeigen immer mehr Fortschritte, und sind ziemlich fest und exact, im Gesange und im Spiele. Die Direction hatte zum Besten der Aufführung gleichfalls nichts gespart. –

Am 3ten April gab der (blinde) königl. bayer. Kammermusicus, Hr. Franz Paul Conradi, mit Beystande der hiesigen königl. Kapelle, Concert, ¦ worin folgendes aufgeführt wurde: 1. Ouverture von Romberg: Einleitung in D moll, Allegro in D dur; als ein kunstreiches Stück von schöner Wirkung bekannt. 2. Arie aus Figaro von Mozart in F dur: Al desio di chi t’adora, ges. von Dem. Gaudin. Die geschickte Dilettantin sang mit vieler Präcision und erhielt vollen Beyfall. 3. Violinconc., das Allegro in D moll, das Rondo in D dur von Kreutzer, und das Adagio in A dur von Hrn. Frenzel. Zweyter Theil: 1. Phantasie für die Flöte von A. E. Müller in E moll und dur, (Leipzig, bey Peters) vortheilhaft bekannt, und gebl. vom königl. Kammermusic, Hrn. Steudel – und zwar mit so angenehmen Tone, solcher Nettigkeit in Passagen und so viel Anmuth im Ausdruck, dass er das ganze Publicum begeisterte. 2. Arie von Salieri in B dur, aus il Matrimonio per Sussurro, ges. von Hrn. Tibaldi, und von Hrn. Dotzauer mit dem Violoncello begleitet.Letzterer spielte meisterhaft: vollkommen präcis, sauber und mit schönem Ausdruck. Hr. T. sang ausnehmend brav, sowol was Haltung der Stimme und Manier, als was Ausschmückungen und genaue Verbindung mit dem obligaten Instrumente betrifft. Er und Hr. D. fanden allgemeinen Beyfall. 3 Variationen für 2 Hörner in E dur von Kummer, gebl. von den königl. Kammermusikern, Hrn. Gebrüdern Haase, in vollkommener Einheit, dem anngenehmsten Ton, und, der beträchtlichen Schwierigkeiten der Composition ungeachtet, mit vieler Leichtigkeit. Auch sie fanden lauten Beyfall. 4 Polonoise von Grasset in D dur, gesp. von Conradi. Er besitzt, ausser dem überaus fähigen, sichern Gedächtnis, das man oft bey Blinden findet, im Spiel grosse Lebhaftigkeit, Genauigkeit im Rhythmus, Haltung im Cantabile, und auch Kraft im Tone. Er fand vielen Beyfall, und die zahlreiche Versammlung bewies ihm denselben auf jede Weise. Wir freuen uns, dies anzeigen zu können, und empfehlen überall zu gleichem Wohlwollen. –

Am 4ten wurde Rossini’s Elisabetta wiedeholt, von welcher schon gesprochen worden ist. Am 8ten Wiederholung von il Matrimonio segretto von Cimarosa. Am 11ten Ser Mercantonio von Pavesi. Diese Vorstellung war, im Gesang und Orchesterspiel, eine der schönsten, die von dieser Oper gegeben worden sind. Dem. Karoline Benelli, als Bettina, entwickelt sich in Mimik und Action immer mehr, und zeigt auch erfreuliche Fortschritte im Gesang, sowol, was Präcision und Methode, als was zunehmende Stärke der Stimme bterifft. Das Publicum belohnte sie mit einmüthigem Beyfall. Die Hrn. Tibaldi, Benincassa und Sassaroli zeichneten sich gleichfalls aus; für letztern passt die Rolle dieses Alten vorzüglich.

Am 16ten gab die deutsche Gesellschaft Johhann von Paris, über welchen wir in No. 25, S. 425 des vor. Jahrg.s. unsere Meynung gesagt haben. Mad.Grünbaum, geb. Müller, welche damals als Prinzessin von Navarra debütirte, entzückte unser Publicum: Mad. Sandrini überraschte diesmal in derselben rolle gar höchlich dadurch, dass sie ihr gänzlich missglückte. Wer sich jener Vorstellung erinnerte, erkannte sie ganze Rolle kaum, und eben die besten Gesangsstücke derselben gar nicht wieder. So beliebt Mad. S. hier ist, so fand man diesmal ihr Spiel doch in solchem Grade kleinlich und haltungslos, ihren Gesang so wankend, mit eigenen Verzierungen überladen etc., dass es unmöglich war, ihr, selbst beym besten Willen, auch nur einigen Beyfall zu bezeigen. Lebhaften Beyfall ärndete hingegen Dem. Julie Zucker als Page, besonders im Solo des Troubadour, das sie wirklich sehr gut, mit sonorer Stimme, richtiger Intonation, sanft, anmuthig und lieblich vortrug. Hr. Wilhelmi, als Johann von Paris, schien unsern, ihm damals gegebenen Rath zu befolgen: er spielte die wirklich schwer durchzuführende Rolle gut, und sang auch mit weit mehr Genauigkeit und Methode; auch nahm er seine Stimme besser zusammen. So fehlte ihm der verdiente Beyfall nicht. Hr. Hellwig, als Seneschall, spielte sehr brav u. mit vielem Beyfall; sang auch mit Präcision und Genauigkeit, Hr. Kapellm. von Weber leitete das Ganze so sicher und zu so schönem Totaleffect, dass selbst das gemischte Publikum es bemerkte, und z. B. der Ausführung der Ouvertüre seinen Beyfall auf eine hier nicht gewöhnliche Art laut zu erkennen gab.

Am 18ten Wiederholung der Elisabetta. Frau von Biedenfeld sang die schwere Hauptrolle sehr gut und zeigte grosse Sicherheit, Präcision und überhaupt eine Kunstfertigkeit, wie sie unter Sängerinnen selten zu finden ist. Sie wird uns nächstens verlassen. – –

¦

Unser gnädigster König hat Hrn. Kapellm. C. Mar. v. Weber, zum Beweise Seiner Zufriedenheit, und besonders zur Belohnung für die oben angezeigte Missa, mit einem eben so schönen, als kostbaren Ringe beehrtT.

[Originale Fußnoten]

  • *) Wir übergehen die weitern Bemerkungen des Corresp. über einzelne Stücke dieses Werks, da sie im Wesentlichen mit denen, des Hrn. Ant. Benelli, No. 19 d. Z., übereinstimmen, und wir unsern Raum möglichst schonen müssen. d. Redact.
  • *) Diese Beurtheilung ist zum Theil nur eine Wiederholung der richtigen und durchdachten Kritik aus Mayland, auf welche wir uns im Uebrigen beziehen. d. Corresp.

Apparat

Zusammenfassung

Aufführungsberichte Dresden

Entstehung

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Blümer, Simon

Überlieferung

  • Textzeuge: Korrespondenznachrichten aus Dresden, in: Allgemeine Musikalische Zeitung, Jg. 20, Nr. 20 (20. Mai 1818), Sp. 367–373

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