Carl Maria von Weber an Caroline Brandt in Prag (Fragment)
Dresden, Mittwoch, 23. April bis Freitag, 25. April 1817 (Nr. 42)

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Meine vielgeliebte Lina!

Ich kann unmöglich schlafen gehen, ohne dir eine gute Nacht schriftlich gesagt zu haben. Geplaudert in Gedanken hab ich den ganzen Abend mit dir während ich Nokerln* schrieb. Seit 8 Uhr sizze ich hier an meinem Schreibtische. Graf Brühl drängt mich einestheils so wegen der Musik zu Yngurd, und anderntheils drängt mich der Gedanke, daß es gut sein wird etwas zu verdienen, und seien es auch nur ein paar Duzend Teller, wir können Alles brauchen. ich sollte heute Abend beim Preußischen Gesandten sein, ließ es aber absagen. Wohlbrük ist heute früh abgereißt, und ich bin also ganz still in meinem Neste.      Warte recht sehnsuchtsvoll auf den morgenden Posttag, ob er mir beßere Kunde giebt, und euer gutes Vernehmen wieder hergestellt ist*. ich hoffe und glaube es zu Aller Ehre.      O du heillose Napoleonistin, weißt du nicht wie oft du mich schon gekränkt hast, nun Haue ) ) ) ) ). d: 21t schrieb ich noch viele Empfehlungs Briefe für Thurners, und auch einen für Schirmers an Beers.      Wohlbrük gefiel als Hippeltanz* außerordentlich, war auch sehr ausgezeichnet, aber – kein Liebich. Gestern d: 22t hatte ich GeneralPr: von Helene. Mittag mit Janusch und Kniže, dann Visiten beim Grafen Vizthum, der unpäßlich ist. und Abends zum 1t male Helene. gieng sehr gut, und gefiel außerordentlich*, auch S: Majestät waren sehr zufrieden wie es schien. Was mich denn sehr freut, wenn er endlich Geschmak an der deutschen Oper findet. ich war hundemüde. plauderte aber doch noch lange mit Wohlbrük der dich auch bestens grüßt. ihm und Weixelbaums habe ich Geld borgen müßen*, welches ich sehr ungern thue, weil es meistens das Grab der Freundschaft ist. Heute hatte ich um 7 Uhr Lection*, um 9 Uhr Seßion beim Grafen, und um 10 Uhr Probe von Joh: v. Paris. Mittag aß ich mit Baßi bei Weixelbaums. besuchte dann den kranken Mieksch, probirte hierauf den Pygmalion mit H: Genast*, und hokte mich dann an meinen Schreibtisch. Morgen ist Helene auf Befehl wieder, und Samstag Tancred, lezte Gastrolle der Weixelb: die beide sehr gefallen haben*. übrigens aber wie immer ein unruhiges klatschiges Volk sind, was gerade noch fehlt in unsere ohnedieß so Kaffeeschwestrichen Verhältniße.      Der guten Grünbaum geht es doch hoffentlich beßer. Joh: v. Paris ist auf den 3t May angesezt, als den lezten Tag wo S: Majestät das Theater besuchen*. Nun geh ich in Bett. lieber Muks. habe deinem | Bild heute Abend schon rechte gute Bußen gegeben, sah aber ganz verdrießlich aus. ich bitte dich alter Schneefuß schreib mir morgen einen guten Brief? gelte? Nun ist auch bald der Aprill vorbei dann sind es nur noch 4 ½ Monat. Gott sei Dank, ich habe eine so innige gute liebe Sehnsucht nach dir und meiner Ruhe, kannst es gar nicht glauben.

     Nun gute Nacht, Muks, gute gute Nacht! Gott segne dich + + + wie dich von Herzen dein ewig treuer dich innigst liebender Carl.

So eben erhalte ich deine No: 45, mit gespannter Erwartung öffnete ich ihn und las ihn eben so durch. Er machte auf mich die Wirkung eines Dramas, von Anfang beruhigend, in der Mitte beängstigend, am Ende wieder tröstlich. Ja sogar lächeln muste ich über dich alter Hamster, daß du so gar dringend dir meine Meynung und Urtheil verbatest. Glaube mir, ich habe Euch alle lebend vor mir gesehen. Weiß alles was zu deiner Entschuldigung zu sagen ist, und was am Dr: anderst zu wünschen vielleicht gewesen wäre. Zu seiner Entschuldigung muß ich aber doch dir noch bemerken, daß er seit Jahren gleichsam alles mit erlebt hat und sich schon /: damals noch blos aus Antheil für mich :/ lebendig dafür intereßirte. daß du nach mancher [.... ...]dlung erst vertrauter mit Ihnen wurdest und er nun […] glaubt, da[?] auch das Meßer anzusezzen.      Errinnere dich nur ähnlicher Streite, die wir hatten, wo Frau von Mukin meynte, wenn nur Sie wieder gut wäre, dann müste ich auch schon wieder alles vergeßen haben.       Also beurtheile ja recht nachsichtig und wohl Alles erwägend, dann wirst du vieles wirklich Harte, doch wenigstens zu entschuldigen finden, und das ist jedes braven Menschen Pflicht. Andern Menschen gegenüber deren achtungswerther Theil doch der überwiegende an ihnen ist.      Nun, ich hoffe zu Gott und Eurer allem guten Herzen, daß ihr bald wieder auf dem alten frohen Fuße stehen werdet; und hat es dich in jeder Hinsicht etwas vorsichtiger und aufmerksamer auf dich und dein Betragen gemacht, so war es wohl sogar heilsam und gut. Je mehr der Mensch gezwungen wird sich selbst richtig zu beobachten, und zwar im Verhältniß zu Andern, je höher hebt er sich und wird immer mehr eins mit dem, was er will und soll. Bedenke in wie wenigen eigentlichen Lebens Beziehungen du bisher gestanden hast, und wie wenig dir die Gelegenheit ward mit Menschen die gänzlich außer deinem WirkungsKreise lagen, vertrauter umzugehn. Deßhalb kamen dir so oft meine | Ansichten und Grundsäzze so sonderbar vor.      Die Welt ist eine große Schule, ich habe sie ehrlich durchlaufen müßen, und Gott sei Dank, ich kann heiter die Hand aufs Herz legen und sagen, ich bin beßer geworden; ich beurtheile Wohlwollend so vieles das andre unbedingt mit Füßen treten, weil sie sich nicht die Mühe geben die GrundUrsachen zu erforschen, – und ich achte keinen Schmerz und keinen Verdruß zu hoch der an einem mir befreundeten oder lieben Wesen Flekken vertilgen kann.

Nun Puntum! du wirst also nicht mehr streiten? ah, das ist schön, da wirst du mich nicht beisen.      Ja, ja, du hast zu oft in deinem Leben Hosen angehabt*. – nun ist’s damit aus, nun ist blos noch in der ächt weiblichen Rolle Effekt, gelte? und die wirst du auch gerne machen. Ein bischen Zwang wirst du dir manchmal den Sommer über anthun müßen – schadt aber nitz, ist alles noch ein bischen Strafe für die alten Sünden, dann komt aber der herrliche brave geläuterte Muks, in eine ganz neue Welt, da wird er kein dummes Zeug mehr machen; als solches um seinen Carl zu erheitern, der ihn dafür dankbar in die Arme schließt, und bald selbst bei seiner Lina Rath und Beystand suchen wird.

Wird das denn nicht schön sein? hab mich selbst wieder ganz heiter geplaudert in der Aussicht auf die schöne Zukunft. Gott gebe seinen Segen dazu.

Nun zu andern Punkten deines Briefes. Erstlich. laß dich recht von Grund des Herzens loben und bußen und daß du bei des Dr: StrafPredigt gut und gelaßen geblieben bist. ich weis, was das dich kostete, und wahrhaftig ich erkenne es mit Freuden und Dank. du selbst wirst aber auch schon deinen Lohn in dir gefühlt haben, denn es lohnt sich nichts herrlicher als Selbstbekämpfung. /: zumal wenn man ein klein bischen Unrecht hat, unter uns gesagt :/

Dafür bekomst du erst noch extra gute Bußen.

Ich werde dem Dr: so wenig darüber schreiben als Er mir, daraus kannst du schon sehen, daß er dich, nicht erst verklagen wollte, sondern die Sache sich selbst entwikkeln ließ.

Es freut mich daß der Atlas dir gefällt, aber schikken werde ich dir ihn wohl nicht können. auch wäre es Schade ihn zu trennen. Wir müßen schon auf etwas studieren wo wir die ganzen 42 Ellen brauchen können.      Ich fürchte mit dir für der Liebich Unternehmung*, wärst du nur erst aus der Sauçe. Es [ist] wirklich toll wie die Prager mit der Grünbaum umgehen. So geht es, da I diese | öffentliche Meinung hat sie sich durch Ihr Betragen in den ersten Jahren zugezogen, und wird sie nun sehr schwer vertilgen. darinn gleicht jedes Publikum und die Welt, der Kanzleidirektorin Löwe im Epigramm.      Also jezt sind die Madrazen in Arbeit? und mein Stuhl ist so schön und weich geworden? ach! ich freu miß. Meine Neugierde werde ich aber wohl ein paar Monat wenigstens bezähmen müßen, weil es gerathener ist die Möbel eingepakt zu laßen, eben wegen gefälligen Mäusen pp.

Ich bin auch der Meynung mit des Vaters Geld Angelegenheit zu warten bis die Prinzeßin Therese wieder hier ist, und ich selbst mit ihr sprechen kann, es geht dann um so schneller und sicherer.

Lieber Muks du wirfst mir vor noch nicht an den Vater geschrieben zu haben, erinnerst dich aber nicht zugleich, daß du selbst mir sagtest du wüstest nicht wo sie jezt wären. Schikke mir seine Adreße, und ich thue diese liebe Pflicht mit nächster Post*.      An unsre liebe Kleinwächter alles Schöne, und ich könnte ihr schon nicht helfen, der GoldStramin pp koste nicht mehr. der guten Fanny ihre Bestellung* vergeße ich nicht, es ist aber nicht hier, sondern in Berlin nur zu haben, und da dauert das etwas länglich.      Daß der Schrank nicht fertig wird* ist mir das fatalste bei der Sendung, aber freilich mit dem überhudeln und dann schlechtes Zeug haben, ists auch nitz.

     Nun muß ich schließen, mein geliebtes Leben, ich gebe dir Millionen Bußen, und drükke dich an mein Herz. Sey brav heiter, und ruhig. dann wirst du gesund und glüklich sein, und dadurch daßelbe deinem dich über alles liebenden Carl geben.

pont schur! Fr. v. Mukin, wie geht’s? Hast du gut geschlafen? bist du wieder heiter, und beruhigt? ja? – nun gut.      Die Helene gieng Gestern excellent wieder, und gefiel*. Sogar der König war wieder darinn, was er höchst selten thut an einem JagdTage*.      nach der Oper gieng ich heimerl, und that ein bißel Klavierspielen und lesen*.       Heute bin ich zum 1t male zu unserm ersten Minister Einsiedel, zu Mittage gebeten. Ein Zeichen daß er sich mir nähert, was mir allerdings sehr angenehm ist. will nun sehen, wie Er ist heute.      Jezt geht es in die Johann Probe. Morgen ist nicht Tancred, sondern Adelina zur lezten Gastrolle der 2 Weixelb: der arme Gned muß lange warten, ehe er zum spielen kommt*, aber ich kann ihm nicht helfen. Es komt gar zu viel zusammen. die armen Grünb: werden elendes Reisewetter haben. Es regnet und schneyet bei uns unaufhörlich. Ihr armen Leute, wenn ihr im Garten, solches Wetter hättet. da darfst du dich recht vor Erkältung [Fortsetzung fehlt]

Apparat

Zusammenfassung

Brühl drängt wegen Yngurd; Wohlbrück ist abgereist; zum erstenmal Helene mit Erfolg aufgeführt; Theaternachrichten, Weixelbaums gaben letzte Gastrolle; Beantwortung ihres Briefes, nur Persönliches; am 25. April ist er erstmals beim Minister von Einsiedel zum Essen eingeladen (Schluss fehlt)

Incipit

Ich kann unmöglich schlafen gehen, ohne Dir eine gute Nacht

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Eveline Bartlitz; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Berlin (D), Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Musikabteilung (D-B)
    Signatur: Mus. ep. C. M. v. Weber 90

    Quellenbeschreibung

    • 1 DBl. (4 b. S. o. Adr.)
    • Schluss fehlt, Textbeeinträchtigung durch große durchgehende Flecken
    • Rötel- und Bleistiftmarkierungen von Max Maria von Weber
    • auf Bl. 1v unter dem Briefteil vom 23. April auf Höhe von Webers Datierung „d: 24t“ mittig höchstwahrscheinlich von fremder Hand ein nicht eindeutig entzifferbares Wort („Mahonie“?) ergänzt

Textkonstitution

  • „sehr“dreifach unterstrichen
  • „… meine Meynung und Urtheil verbatest“Lesung nicht eindeutig, möglich auch: vertratest
  • unleserliche Stelle
  • „… Ihnen wurdest und er nun“hier fast eine ganze Zeile nicht lesbar
  • „mehr“über der Zeile hinzugefügt
  • „und“durchgestrichen
  • erst„ein“ überschrieben mit „erst
  • „da I“durchgestrichen
  • „… Bestellung vergeße ich nicht, es“„ers“ unzureichend korrigiert, so dass eher „er“ zu lesen ist; sinngemäß als „es“ wiedergegeben

Einzelstellenerläuterung

  • „… mit dir während ich Nokerln“Laut Tagebuch fertigte Weber die Reinschrift seiner Schauspielmusik zu König Yngurd an und komponierte noch das Lied Nr. 11 dazu.
  • „… gutes Vernehmen wieder hergestellt ist“Zu den Auseinandersetzungen Caroline Brandts mit Philipp Jungh vgl. den Briefteil vom 24. April 1817.
  • „… . Wohlbrük gefiel als Hippeltanz“Letzte Gastrolle in Dresden als Hippeldanz im Epigramm am 21. April 1817.
  • „… gut , und gefiel außerordentlich“Vgl. den Bericht in der Abend-Zeitung vom 7. Mai 1817.
  • „… habe ich Geld borgen müßen“Vgl. die entsprechenden Tagebuchnotizen vom 14. und 22. April 1817.
  • „… ich um 7 Uhr Lection“Webers Italienisch-Unterricht (17. Februar bis 5. September 1817).
  • „… den Pygmalion mit H: Genast“Genast spielte in Häsers Pygmalion am 24. März 1817 in Weimar (letzte Vorstellung vor seiner Abreise nach Dresden; vgl. Aus Weimars klassischer und nachklassischer Zeit, Neuausgabe von Aus dem Tagebuch eines alten Schauspielers 1862–1866, Berlin 2014, S. 89) und am 7. August 1818 in Leipzig; vgl. Zeitung für die elegante Welt, N. 174, 5. September 1818, Sp. 1411.
  • „… die beide sehr gefallen haben“Vgl. auch den Bericht in der Abend-Zeitung vom 7. Mai 1817.
  • „… S: Majestät das Theater besuchen“Letzter Besuch des Königspaares im Dresdner Hoftheater vor dem Umzug in die Sommerresidenz Pillnitz am 5. Mai 1817.
  • „… in deinem Leben Hosen angehabt“Caroline Brandt spielte im Theater häufig Hosenrollen.
  • „… dir für der Liebich Unternehmung“Johanna Liebich hatte am 24. März 1817 die Direktion des Prager Ständetheaters übernommen; vgl. die Abend-Zeitung vom 15. April 1817.
  • „… liebe Pflicht mit nächster Post“Den Brief an Caroline Brandts Vater mit der Bitte um die Hand seiner Tochter schrieb Weber erst am 20. Juni 1817.
  • „… der guten Fanny ihre Bestellung“Vgl. dazu die Tagebuchnotizen vom 20. Juni 1817 sowie den Brief an Caroline Brandt vom 19./20. Juni 1817.
  • „… der Schrank nicht fertig wird“Gemeint ist möglicherweise der Schreibtisch (Schreibschrank?), den Weber laut Tagebuch am 29. März 1817 beim Prager Tischler A. Schambach in Auftrag gegeben hatte.
  • „… Gestern excellent wieder, und gefiel“Laut Bericht in der Abend-Zeitung vom 7. Mai 1817 wurde die Oper „mit gleichem Beifall“ wie in der Premiere „wiederholt“.
  • „… selten thut an einem JagdTage“Laut Hoftagebuch (Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden, Bestand 10006 Oberhofmarschallamt, O 04, Nr. 214) traf der König bereits „halb 4 Uhr“, von Moritzburg kommend, wieder in Dresden ein. Der Theaterbesuch ist nicht eigens vermerkt, das gespielte Werk („Héléne“) aber festgehalten.
  • „… ein bißel Klavierspielen und lesen“Im Tagebuch vermerkte Weber abweichend „gelesen und comp:[onirt]“; vgl. den Kommentar dort.
  • „… ehe er zum spielen kommt“Gned, der am 17. April in Dresden angekommen war, absolvierte seinen Gastauftritt erst am 29. April 1817.

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