Caroline von Weber an Friedrich Wilhelm und Ida Jähns in Berlin
Dresden, erhalten Freitag, 20. Dezember 1850

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Meine lieben Kinder

Ich kann es mir nicht versagen Euch durch Fr. v. Quandt* welche morgen nach Berlin reisst einen herzlichen Gruss zu sagen, und Euch für das alte und neue Jahr Glük und Segen zu wünschen. Gewiss hat meine gute Ida mit Vorbereitung zum Weihnachtsfest alle Hände voll zu thun, und ist glücklich in der Uiberzeugen alle den Lieben Freude zu bereiten. Trotz meinen recht bösen Auge arbeite ich auch für die Kinder so viel ich kann obgleich es mir vom Artzte streng verboten wurde, besonders bey Licht zu nähen. Aber du lieber Gott! bey dem traurigen Regen Himel wird es ja fast nie Tag und ich denke der liebe Gott wird ein Einsehen haben, und das Uibel nicht ärger werden lassen, denn es ist nicht allein recht unangenehm, sondern für Andere auch recht eklich anzusehen. Ja ja, die Gefährten des Alters sind keine liebenswürdigen Leute und besonders streifen sie uns armen Frauen am Ende jede Spur eines erträglichen Aeussern ab und lassen uns oft als Carikaturen erscheinen wo sie doch den Männern das Ehrwürdige lassen. 56 Jahre habe ich nun durchlebt*, und wenn ich eine Billangs ziehe zwischen gut und nicht gut dann sinkt die letzte Schaale tief hinab. Meine frühste Jugend war traurich, und, seit meiner Kindheit beim Theater, mit tausend Unannehmlichkeiten verknüpft. Die Ehe meiner Eltern war nicht glücklich, und uns arme Kinder wurde oft Scenen vor die Augen geführt welche unser junges Leben verbitte[r]n musste. Glücklich hätte ich im Besitz eines fürstlichen Gatten sein können, wenn die Furcht vor Webers zunehmender Kränklichkeit nicht wie ein Schwert an einem Haare über meinem Haupte geschwebt hätte. Es fiel! und raubte mir für viele Jahre jede Freude am Leben. Ich lebte auf in der Hoffnung an dem gedeihen meiner Kinder. Das Mutterherz genoss dies Glück mit Zagen um ihr geistiges Wohl, um ihre künftige Existenz. Bald wurde auch die letzte Sorge von meinem Herzen genomen und in mein Dankgebet mischte sich zuweilen ein leise[r] Jubel über vollbrachte treue erfüllte und belohnte Mutterpflicht, da, auf einmal, vernichtete Gottes Hand die, zur Ernte reife Saat, zur Hälfte, und sendete der andern villeicht durch eigenes Verschulden den nagenden Wurm in die Wurzel und ich muss sehen wie ein Halm, von der treu gepflegten Ernte, um den andern das Haupt senkt und abstirbt, und dem Unkraut Raum giebt empor zu schiessen und Früchte zu tragen. Das dieser Wurm auch an meinem Leben nagt, fühle ich nur zu gut, und ich stehe wie der arme Landman vor der Zerstörung hülf, und rathlos — Doch sieh, da scheint ja wieder ein freundlicher Sonnenblick in meinen trüben Tag. Mein Marichen mit seiner Liebe erfreut mein Herz mit neuen Blüthen und Hoffnungen, und wenn ich auch die Früchte dieses liebevollen Gemüths nicht mehr genissen werde so will ich sie doch hüthen und bewahren dass der hässliche Wurm des Egoissmus sich nicht auch in diese Knospe einnistet und sie nur zum Scheinleben röthet — Doch, schon wieder hat mein Brief einen trüben Charakter angenomen, und ich mögte mich fast selber des schlimmen Fehlers der Selbstsucht anklagen welcher darin Trost findet wenn er auch weiss dass er andere liebende Herzen mit seinen Klagen betrübt. Nun ich weiss Ihr zürnt mir nicht und nehmt imer treuen Kindes Antheil an meinen Freuden und Leiden. Gott lob dass nun wieder Frieden unter den Grossen der Erde ist, und dass Sachsen, und Preussen nicht als Feinde einander gegenüber zu stehen brauchen*. Ich kann Euch sagen dass mir das Bewusstsein des Undanks, von unserer Seite, sehr betrübend war*, und gewiss theilte halb Sachsen dies Gefühl mit mir. Euren König habe ich dadurch erst recht lieb gewonnen dass er, im Bewusstsein der Macht sich selbst bezwingen konnte um theures Bürgerblut zu schonen. Möge Gott ihn dafür segnen!!

Jetzt habe ich noch eine Bitte an den Wilhelm. Er mögte nehmlich so gut sein bey Schlesinger einige Hefte von Webers Liedern heraussuchen. Besonders die Volkslieder, und sie nebst der Rechnung dafür, der Fr. v. Quandt mitgeben. Auch mögte ich dass sie mir die Partitur vom Oberon mitbrächte, denn ich bin nun Willens darüber zu verfügen wie ich mit Wilhelm besprochen habe*. Ist Meyerbeer in Berlin? Bitte schreibt mir das. Hatt villeicht Wilhelm einmal mit ihm gesprochen? Die bewussten Musikalien sind leider spurlos verschwunden*

Grüsst und küsst mir die lieben Jungen. Ich freue mich wenn ich an sie denke. Gott sey mit Euch Allen. Gedenkt meiner mit Liebe, wie Eurer stets gedenktdie Mutter Weber

Apparat

Zusammenfassung

berichtet von ihrem Augenleiden; zieht Resümée ihres Lebens und äußert sich befriedigt über die politische Entwicklung; bittet, dass die Oberon-Partitur Frau von Quandt, die ihren Brief überbrachte, mitgegeben werde; bestellt bei Schlesinger gegen Rechnung Lieder Webers, die Jähns aussuchen solle; fragt, ob Meyerbeer in Berlin sei, glaubt, dass die seinerzeit ihm geliehenen Musikalien verloren seien

Incipit

Ich kann es mir nicht versagen Euch

Verantwortlichkeiten

Übertragung
Frank Ziegler; Eveline Bartlitz

Überlieferung

  • Textzeuge: Dresden (D), Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek (D-Dl)
    Signatur: Mscr. Dresd. App. 2097, 138

    Quellenbeschreibung

    • masch. Übertragung nach dem verschollenen Original (Nr. 138 des Konvoluts)
    • 4 S.
    • am Kopf die Notiz: „Empfangen 20. Dez. 50.“

    Dazugehörige Textwiedergaben

    • MJ S. 349 (Auszug)
    • Weberiana 12 (2002), S. 34 (Auszug)

Textkonstitution

  • „Uiberzeugen“sic!

Einzelstellenerläuterung

  • „… Euch durch Fr. v. Quandt“Fraglich, ob Bianca von Quandt oder ihre geschiedene Schwiegertochter S. von Quandt.
  • „… Jahre habe ich nun durchlebt“Zum Alter Caroline von Webers vgl. den entsprechenden Kommentar im vorhergehenden Brief.
  • „… einander gegenüber zu stehen brauchen“Bezogen auf den österreichisch-preußischen Konflikt bezüglich der Wiederherstellung des Deutschen Bundes (Herbstkrise 1850), der durch Unterzeichnung der Olmützer Punktation am 29. November beigelegt worden war.
  • „… Seite , sehr betrübend war“Caroline von Weber bezog sich hier wohl auf die Unterstützung des preußischen Militärs bei der Beendigung der revolutionären Barrikadenkämpfe in Sachsen im Mai 1849.
  • „… ich mit Wilhelm besprochen habe“Im Gegensatz zu den 1851 verwirklichten Plänen, die Partiturautographe von Freischütz und Euryanthe an die Königlichen Bibliotheken in Berlin bzw. Dresden zu verschenken, ist eine entsprechende Absicht Caroline von Webers bezüglich des Oberon sonst (abgesehen von einer weiteren brieflichen Erwähnung) nicht nachweisbar; das Autograph wurde erst 1855 von Max Maria von Weber an den Zaren Alexander II. in St. Petersburg verschenkt; vgl. das Übergabeschreiben.
  • „… Musikalien sind leider spurlos verschwunden“Zu den in Zusammenhang mit der geplanten Vollendung des Pintos-Fragments verliehenen Musikalien vgl. auch den Brief vom Mai 1849 sowie die Übergabeliste und die Rückgabebestätigung vom Januar 1852. Möglicherweise ist das sogenannte „grüne Heft“ mit Webers Liedautographen gemeint, das Meyerbeer bereits am 28. Dezember 1839 an F. W. Jähns übersandt hatte. Der Nachbesitzer des ersten Blattes dieses Hefts (Titelseite und Lied Die Kerze), Ernst Ludwig Hellwag, behauptete später allerdings, dass er das Autograph, vermittelt durch A. B. Fürstenau, von Caroline von Weber erhalten habe; vgl. die Abschrift seines (undatierten) Briefes an Max Maria von Weber. Somit müsste das komplette Heft zuvor an die Witwe zurückgelangt sein.

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